„Inherent Vice“: Viel Rauch im alten Kalifornien

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Kann man einen Roman von Thomas Pynchon verfilmen? Paul Thomas Anderson hat es mit „Inherent Vice“ versucht. Ergebnis: eine stark vernebelte Teilzeit-Komödie.

Thomas Pynchon gehört zu jener exklusiven Riege von Autoren, die als unverfilmbar gelten. Ganz unberechtigt ist das nicht: Sein bekanntestes Werk, der monumentale Roman „Die Enden der Parabel“ („Gravity's Rainbow“ im Original), entwirft etwa ein überbordendes Mosaik aus verschachtelten Referenzen, subversiven Stilbrüchen und grobem Unfug, präzise angeordnet um den Einsatz deutscher V2-Raketen im Zweiten Weltkrieg. Für viele, allen voran für seine ergebene Fangemeinde, ist Pynchon der König der Postmoderne, dessen literarischem Genie kein Filmemacher gerecht werden kann. Dennoch gibt es bereits einige interessante Versuche, sich dem öffentlichkeitsscheuen Kultromancier filmisch zu nähern.

Dabei werden die Grenzen des Begriffs Adaption nicht sonderlich eng gesteckt: US-Indie-Hoffnung Alex Ross Perry hat in seinem No-Budget-Debüt „Impolex“ Szenen aus den „Parabeln“ mit Freunden im Wald nachgestellt, der Deutsche Robert Bramkamp hat über den V2-Mythos geforscht und seine Befunde mit Pynchon-Exegesen zum wunderlichen Sci-Fi-Essay „Prüfstand 7“ verleimt. Nun hat sich ein vergleichsweise bekannter Name über eine Arbeit Pynchons getraut: Paul Thomas Anderson („Magnolia“, „There Will Be Blood“), selbst ein Solitär im Hollywood-Betrieb, bringt den psychedelischen Retro-Krimi „Inherent Vice“ (zu Deutsch: „Natürliche Mängel“) auf die Leinwand.

Das Ergebnis ist ein ziemlich eigenartiges Gebilde. Ob es als Umsetzung des Buchs gelungen ist, können wohl nur fortgeschrittene Pynchon-Kenner beurteilen. Zwar hält sich Anderson trotz unvermeidlicher Kürzungen recht genau an die vielschichtige Vorlage, aber man fragt sich, ob das in diesem Fall überhaupt ratsam ist: Obwohl sie aufgrund ihres nominellen Genre-Charakters zu Pynchons zugänglichsten Texten zählt, ist ihr Prosastil immer noch unglaublich dicht, mit mehr obskuren Anspielungen als bei Joyce und Nabokov zusammen und mindestens einem kauzigen Witz pro Satz. Vieles davon steckt in erzählerischen Abschweifungen und Beschreibungen, die Anderson teilweise in Kostüm- und Ausstattungsdetails überträgt. Doch lesen ist nicht gleich sehen, und der ursprüngliche Effekt verfällt.

Ins schwarze Herz der Gegenkultur?

Eine Handlungserläuterung birgt das Risiko, dass einem wie bei schlechten Acid-Trips die Sicherungen durchbrennen, weshalb man es besser bei Ansätzen belässt: Im „groovy“ Kalifornien der Siebzigerjahre erscheint eines Tages die Exfreundin des dauerbekifften Hippie-Detektivs Larry „Doc“ Sportello wie die Morgenröte in dessen Büro und schickt ihn auf einen investigativen Staffellauf, der sich zu einer immer verwirrender werdenden Reise ins Innere einer Babuschka-Puppe aus Verschwörungstheorien und Geheimbünden auswächst, bis das schwarze Herz von Kultur und Gegenkultur sich offenbart – oder auch nicht.

Nuschelsprüche, mimische Manierismen

Zum überwiegenden Teil besteht der Film aus in Großaufnahmen aufgelösten Dialogsequenzen, in denen Hauptdarsteller Joaquin Phoenix (hergerichtet als Kreuzung aus John Lennon und Wolverines verpeiltem Bruder) mit einer endlosen Abfolge mehr oder weniger bekannter Gesichter in ulkiger Aufmachung Nuschelsprüche und mimische Manierismen austauscht. Ihm gegenüber sitzen abwechselnd Josh Brolin, Benicio Del Toro, Owen Wilson, Reese Witherspoon und in einer der unterhaltsameren Episoden Martin Short. Brolin hat als bulliger Bulle Bigfoot Bjornsen (einer der typisch albernen Pynchon-Namen, von denen hier viele fallen) noch die solideste Rolle unter den Nebenfiguren. Anderson unterlegt sein kurioses Konversatorium mit einem dezenten Klangteppich aus historischer Koloritmusik von Can über Neil Young bis hin zu The Association, Harfen-Pop-Elfe Joanna Newsom liefert die Erzählstimme und spielt auch kurz mit.

Obwohl sich „Inherent Vice“ als Teilzeit-Komödie versteht und einen Großteil seiner Gespräche Wort für Wort von Pynchon übernimmt, findet Anderson keine adäquate Form, den darin angelegten Humor filmisch freizusetzen. In Interviews nannte er als Inspiration die Zucker-Brüder, deren frühe Nonsens-Kanonaden „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ und „Die nackte Kanone“ tatsächlich etwas Pynchoneskes haben. Stellenweise meint man ihren Einfluss sogar zu spüren, in peripheren Gags und übertriebenen Schauspielreaktionen, aber was dem Film völlig fehlt, ist ihr Gespür für Timing, und Phoenix ist beileibe kein Leslie Nielsen.

Das Tragische liegt Anderson mehr

Gegen Ende der zweieinhalbstündigen Konfusion färbt sich die ohnehin paranoide Atmosphäre immer dunkler, das Drama nimmt überhand, und der Film wird besser: Das Tragische liegt Anderson mehr als das Komische, die stärksten Szenen sind im letzten Akt versteckt und frei von angestrengtem Klamauk. Ein Wiedersehen zwischen Sportello und seiner blauen Blume Shasta Fay (Katherine Waterston) gerät zu einem intensiven Seelenstriptease. Dann fühlt sich „Inherent Vice“ an wie Andersons vorgängiges Epos „The Master“: Dieses war auch mit Absurditäten gespickt, konnte aber eine konsistente Stimmung aufrechterhalten, die hier im Dunst der Joints zerfließt. „Ich weiß nicht, was ich gerade gesehen habe“, sagt Doc irgendwann, und jemand fügt hinzu: „Ich auch nicht, und ehrlich gesagt will ich es gar nicht wissen.“ Gut möglich, dass es dem einen oder anderen Zuschauer bei Andersons Film ähnlich geht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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