„Into the Woods“: Musical im Urgrund der Wälder

Into the Woods
Into the Woods(c) Walt Disney/ Peter Mountain
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Der Film von Regisseur Bob Marshall erinnert an das klassische, allen Wirklichkeiten trotzende Hollywood-Musical, kann aber dessen Form nicht aufbrechen.

Sechzehn Minuten. So lange dauert das erste Lied im Musicalfilm „Into the Woods“. So lange hat man Zeit, sich zu entscheiden, ob man sich auf diesen Waldspaziergang einlassen möchte. Der Tonfall, den der Prolog etabliert, ändert sich nämlich nicht mehr in den verbleibenden zwei Stunden. Und das ist gut so. Hinein in den Wald wandern sämtliche Hauptfiguren: Rotkäppchen will zur Großmutter, Aschenputtel zum Prinzen, und Bauernbub Jack soll seine geliebte weiße Kuh verkaufen, tauscht sie aber gegen eine Handvoll Zauberbohnen ein.

„The woods are just trees. The trees are just wood“, heißt es in der Eröffnungsnummer, aber man ahnt schnell, dass Drehbuchautor James Lapine, der auch die Story des Musicals geschrieben hat, ein schlafwandlerisches Verständnis von der Volkskunstform des Märchens hat, und dass der Wald vor allem Urgrund ist, auf dem sich Leben neu ordnet. Im Moos beginnt die Transformation, und es lauern drastische Erkenntnisse, harte Wahrheiten und existenzielle Einsichten unter der fantastischen Oberfläche: „Into the Woods“ handelt von Selbstsucht und Familienschuld, von Scham und nicht gelebter Freiheit und davon, wie diese Defizite bewältigt werden können, nämlich nicht allein („No one is alone, truly“, heißt es in einem Schlüsselsong), sondern nur gemeinsam.

Künstlichkeit der Kulissen

Musik und Text sind von Stephen Sondheim, einem Vater des modernen Musicals, verehrt für die komplex arrangierte Polyfonie in vielen seiner Stücke, sowie für deren hintergründigen Witz und generelle „sophistication“. Eine Kinoadaption von „Into the Woods“ war lange in Arbeit, wurde aufgrund der düsteren Grundstimmung der Vorlage aber immer wieder als zu riskant eingestuft. Das erklärt, weshalb Regisseur Rob Marshall („Chicago“) jetzt mit vergleichsweise bescheidenen 50Millionen Dollar auskommen musste. Wie so oft im Märchen erwuchs ihm aus der Not eine Tugend: Statt computeranimierter Kulissen setzt er auf klassische Studiobauten. Die Künstlichkeit wird nicht verkleidet, sondern im Gegenteil verstärkt, und zeitweise fühlt man sich – auch durch die angenehm klassische, elegante Kameraführung von Dion Beebe – an die allen Wirklichkeiten trotzende Ära des klassischen Hollywood-Musicals und dessen irrste Auswüchse, etwa in Vincente Minnellis „Brigadoon“, erinnert.

Die Schauspieler fühlen sich merklich wohl zwischen all den falschen Bäumen. Das liegt auch daran, dass die Figuren besonders für Musicalverhältnisse erstaunlich viel Tiefe aufweisen. Sondheims doppelbödige Texte, seine an- und abschwellenden Kompositionen halten die Charaktere nicht nur körperlich in Bewegung, sondern lassen sie die ihnen zugedachten Rollen singend anzweifeln und hinterfragen. Besonders schön gelingt das bei Aschenputtel (wunderbar: Anna Kendrick). Die leidet wie im Grimm'schen Märchen unter der Stiefmutter (eine der besten Nebendarstellerinnen Hollywoods: Christine Baranski) und deren Töchtern, verzehrt sich nach dem gut frisierten, klassisch schönen Prince Charming (ideal besetzt, mit perfektem komödiantischen Gespür: Chris Pine). Als sie ihn dann hat, will sie ihn nicht mehr.

Ähnlich ergeht es dem Bäcker (James Cordon), der aufgrund eines Familienfluchs keine Kinder zeugen kann. Die benachbarte Hexe (ausgesprochen gut aufgelegt: Meryl Streep) verspricht Erlösung, sollte es seiner Frau (Emily Blunt) und ihm gelingen, ihr vier Dinge zu besorgen: eine Kuh weiß wie Milch, ein Cape rot wie Blut, Haar so gelb wie Mais und einen Slipper rein wie Gold. Aber auch hier steht am Ende die Einsicht, dass man vielleicht doch nicht für das gemeinsame Glück bestimmt ist. Keiner kommt aus dem Wald heraus, wie er in ihn hineingegangen ist.

Als Zuschauer hat man leider kein ähnlich transformatives Erlebnis: Rob Marshall ist ein tauglicher Handwerker und versteht sich darauf, die Gesangsnummern ansehnlich in Szene zu setzen. Ein Höhepunkt ist, als die schön-schmalzigen Prinzen vor einem künstlichen Wasserfall den Schmachtfetzen „Agony“ schmettern. Aber sein „Into the Woods“ bleibt in den eng gesteckten Grenzen des Leinwandmusicals, unternimmt keinen Versuch, die Formel aufzuweichen.

Es bleiben die Lieder, die Lieder

Das ist auch insofern überraschend, als die Disney-Studios nichts unversucht lassen, um ihr popkulturelles Vermächtnis einer neuen Generation zugänglich zu machen: Im Vorjahr schlüpfte Angelina Jolie in die Rolle der „Maleficent“, erzählte die „Dornröschen“-Geschichte vom Blickpunkt der bösen, aber auch missverstandenen Hexe aus. Und in der Mitte März anlaufenden Verfilmung von „Aschenputtel“ erhält die Titelfigur einen feministischen Anstrich. Vielleicht ist es aber auch besser, dass keine inszenatorischen Sperenzchen von dem ablenken, was „Into the Woods“ schon in seiner Musicalfassung so sehenswert gemacht hat: die Lieder, die Lieder und nochmal die Lieder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2015)

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