"American Sniper": Ein Cowboy gegen die "Wilden" im Irak

(c) Keith Bernstein
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Clint Eastwood hat die Autobiografie des tödlichsten Scharfschützen in der US-Geschichte verfilmt. In "American Sniper" spielt Bradley Cooper fantastisch einen Mann, der von seinen eigenen Männlichkeitsfantasien zerfressen wird.

Ein Berg von einem Mann sitzt auf der Wohnzimmer-Couch. Sein Blick fällt auf das Fernsehgerät, dessen Bildschirm schwarz ist. Der Film läuft aber ohnehin im Kopf von Chris Kyle (fantastisch: Bradley Cooper) ab. Vier Touren in den Irak haben den Burschen aus Texas zur Legende gemacht: Der beste, also tödlichste Scharfschütze in der US-Militärgeschichte hat 160 Menschen erschossen. Zumeist von Hausdächern aus. Der Blick durch das Fadenkreuz ist ein wiederkehrendes Motiv in Clint Eastwoods „American Sniper“. Die Suchbewegung nach potenziellen Aggressoren erinnert an Videospiele: Im Gegensatz zu den Bodensoldaten, die schwer bewaffnet Häuser und Wohnungen stürmen, schwebt Chris Kyle über den Dingen. Fantasien von Allmacht stellen sich von selbst ein. Psychische Wunden ebenso: Wer eine verschleierte Frau und ihren Sohn erschießt, auch wenn sie dabei waren, eine Granate auf US-Soldaten zu schleudern, wird davon verändert.

Von der Linken attackierter Film

Mit „American Sniper“ hat Clint Eastwood das gleichnamige autobiografische Buch von Chris Kyle verfilmt. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, die vom Irakkrieg erzählen, verweigert sich das Drama einer expliziten Kritik an der Bush-Regierung. Nicht nur, weil Eastwood selbst liberaler Republikaner ist, der bei einer Wahlkampfveranstaltung schon mal ein befremdliches Streitgespräch mit einem unsichtbaren, weil nicht anwesenden Barack Obama führt. Sondern weil der weltbekannte Schauspieler und meisterhafte Regisseur vor allem eine persönliche Geschichte erzählen will. Die Linke hat ihn dafür schnell angegriffen, die Rechte ihn reflexartig verteidigt. Eine verknappte und hysterische Kontroverse folgte, kommerziell wurde der Film in den USA zu einem überragenden Erfolg – schon auch, weil sehr medienwirksam darüber gestritten wurde, ob dieser Chris Kyle nun ein Held oder ein Mörder ist.

Der Dialektiker Eastwood weiß, er ist beides. „American Sniper“ ist ein ausgesprochen nuancierter Film, der seinem Publikum zutraut, eigenständig zu denken. Es stimmt schon, Chris Kyle verachtet die Iraker, wie in seinem Buch bezeichnet er sie auch im Film als „savages“, als „Wilde“. Eastwood lässt das so stehen. Den Rassismus dieses Durchschnittsamerikaners unterstreicht er damit nicht. Er möchte, dass die zur Legende verzerrte Figur des Chris Kyle wahrhaftiger wird. In gewisser Weise steht sein „American Sniper“ in engem Dialog mit dem zynischen, xenophoben Grantler aus „Gran Torino“, den Eastwood selbst dargestellt hat. Es ist das Bild eines amerikanischen Mannes, der seine Heimat nur dann verlässt, wenn die USA gegen ein anderes Land in den Krieg ziehen. Dann muss man die Nation und die Familie als ideologische Keimzellen beschützen.

Als Kind geht Chris Kyle häufig mit seinem Vater, einem liebevollen, aber harten Patriarchen und streng gläubigen Christen, auf die Jagd: In dem Moment, als der Scharfschütze auf dem irakischen Hausdach sein Ziel ins Visier genommen hat und abdrückt, wechselt Eastwood zum Tier, das vom kleinen Chris erlegt wurde. Später, als die Familie um den Esstisch herum sitzt, erklärt ihm sein Vater, es gäbe nur „drei Arten von Menschen: Schafe, Wölfe und Schäferhunde“. Seine Söhne sollen Letzteres werden, sie hätten auch „the gift of aggression“. Das ist ein wohltuender Gedanke, wenn man gerade den Abzug drückt. Aggression als Geschenk, Gewalt als Lösung: Chris und sein Bruder Max inszenieren sich als breitbeinige Alpha-Männchen, nennen sich Cowboys. Viele Jahre später dann wieder ein Volltreffer. Seine spätere Frau Taya (Sienna Miller) bekommt vom Schießbudenbesitzer den Preis überreicht, einen großen Teddybären.

Allmachtsfantasien, Wildwest-Mythen

„American Sniper“: der uramerikanische Mann aus Texas, von klein auf gefüttert mit Allmachtsfantasien, Wildwest-Mythen und Superhelden wie dem Punisher, dessen ikonisches Schädel-Logo Armee-Fahrzeuge ziert. Bei den Navy Seals wird er zur Legende und geht daran zugrunde. Das Land, für das er in den Krieg zog, interessiert sich für ihn nach seiner Rückkehr so wenig wie für alle anderen Veteranen. Ein armer Narr, das ist er.

Für Hauptdarsteller und Ko-Produzent Bradley Cooper waren die Dreharbeiten vor allem eine Tour de Force: Hinter dem stiernackigen Schein zeigt er die Selbstzweifel eines Mannes, der von seinen eigenen Männlichkeitsfantasien zerfressen wird. Nachdem er von seiner letzten Tour nach Hause gekommen ist, hockt er in einer Bar, vergessen von der Welt. Seine Frau ruft an, er ringt mit den Tränen. Er geht nicht mehr zurück in den Irak, in die Arena, in der er etwas Besonderes ist. Das hat er versprochen. Zuhause schreckt er beim Geräusch des Rasenmähers zusammen. Der Alkohol wird zum immer gefährlicheren Freund und Tröster. Lebenssinn findet er vor allem, wenn er Zeit mit anderen Veteranen verbringt. Einer davon, der den Krieg nicht verkraftet hat, der schizophren geworden ist, erschießt ihn am 2. Februar 2013. Der tödlichste Scharfschütze in der US-Militärgeschichte wird also am Ende selbst von einer Kugel zu Fall gebracht – nicht im Irak, sondern mitten in Amerika.

Dieser Film war in sechs Kategorien für Oscars nominiert. Wie viele er wirklich bekommen hat, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

Alle Oscars finden Sie unter diepresse.com/oscar

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2015)

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