Geheimagenten als Superhelden

Kingsman
Kingsman(c) Twentieth Century Fox
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Regisseur Matthew Vaughn sehnt sich in "Kingsman: The Secret Service" nach der guten alten James-Bond-Ära. Doch das passt nicht ins Jahr zwei nach der NSA-Affäre.

Im Jahr zwei nach der NSA-Affäre einen Geheimdienst superheldenhaft dastehen zu lassen ist gar nicht so einfach. Der britische Pop-Regisseur Matthew Vaughn geht dafür zurück in die Vergangenheit, in eine Zeit, als Stil, Etikette und Manieren für einen Geheimagenten ebenso selbstverständlich waren wie ein maßgeschneiderter Anzug und ein betont kreatives Waffenarsenal.

Die Comic-Vorlage zu „Kingsman: The Secret Service“ stammt wie schon bei Vaughns internationalem Durchbruchsfilm „Kick-Ass“ von Mark Millar: Dieser ist bekannt dafür, familienfreundliche Universen mit Schimpfwörtern und Gewaltexzessen zu versetzen. Explodierende Köpfe und längs entzweigeschnittene Männer sollen jetzt auch in Vaughns Filmversion für eine Radikalität einstehen, die sich genauer betrachtet dann aber doch als kalkuliertes Schenkelklopferspiel entpuppt. Colin Firth, im Filmgeschäft der Brite für alle Fälle, soll nach der Zweiteilung eines Kollegen Ersatz für ihn finden. Ein neuer „Kingsman“-Agent muss her und Firth‘s Harry Hart – Codename: Galahad – hat dafür ausgerechnet den jugendlichen Delinquenten Gary „Eggsy“ Unwin (toll: Newcomer Taron Egerton) auserkoren: Es ist ein prinzipiell sympathisches Manöver dieses Films, einen Chav, also den Stereotyp eines britischen Jugendlichen aus der Unterschicht, zum Helden zu machen.

Das Proletenmilieu – Sozialwohnung, alkoholkranke Eltern, Gewaltbereitschaft – bleibt bei Vaughn, der mit seiner Frau, Claudia Schiffer, in einem Landwohnsitz aus der Tudor-Zeit residiert, allerdings bloße Kulisse: Die Ärmlichkeit von Eggsys Herkunft ist nur dazu da, einen größtmöglichen Kontrast zur altenglischen Eleganz der „Kingsman“-Räumlichkeiten zu etablieren. Der Unterschicht blickt dieser Film mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung entgegen: „Kingsman“ ist daher auch die Geschichte der Transformation dieses jungen Mannes, der Baseballkappe, Jogginghose und Turnschuhe gegen Maßanzug, Ledertreter und ein Brillengestell der Traditionsmarke Cutler & Cross eintauscht. Am Ende darf er seinem prügelnden Stiefvater noch einen Bierkrug voller Guinness über den Schädel ziehen...

Gehirnwäschewellen. Kratzt man die hippe Spaßmacherfassade von „Kingsman“ ab, pocht darunter ein ausgesprochen konservatives Herz, eines, das sich nach den einfachen Weltmodellen und der eskapistischen Grundstimmung der Roger-Moore-Bond-Ära verzehrt. Dazu passt dann auch der Superschurke Valentine (ein lispelnder Samuel L. Jackson): Die manipulierten SIM-Karten, die er der kommunikationsgeilen Bevölkerung nachwirft, senden per Knopfdruck Gehirnwäschewellen aus, die jeden Handybenutzer zu einem gewaltbereiten Irren machen. Hört sich modern an, riecht aufgrund des Schreckgespinsts von fremdkontrollierten Mobile Devices sogar leicht nach Datenschutz-Romantik, bleibt in „Kingsman“ allerdings lediglich der finstere Plan eines bösen Menschen. Auch gut, leider aber verdammt uninteressant. Matthew Vaughn macht es sich in seinem Referenznest gemütlich, inszeniert belanglos und meint mit Subversion etwa eine Sequenz, in der sich eine Gruppe hundsgemeiner Fundi-Christen in einer Kirche gegenseitig abmurkst – Handystrahlung sei Dank.

Dabei geht das auch anders: Sogar James Bond, unverrückbares britisches Popkulturgut mit in Bernstein gegossenem Habitus, wurde in der Daniel-Craig-Phase einem Update unterzogen. Ein paar markige Sprüche setzt es zwar immer noch, aber die Unverletzbarkeit ist Geschichte. Von den radikalen Entwürfen in den politischen Paranoia-Thrillern der Sechziger- und Siebzigerjahre, Coppolas „Der Dialog“ zum Beispiel, fehlt im heutigen Agenten-Kino allerdings jede Spur: Der damalige Leitsatz des „Vertraue niemandem“ ist in ein ambivalenteres „Ich weiß nicht, wem ich noch vertrauen kann“ umgemünzt worden. Anstatt aufzuzeigen, dass es im digitalen Datenfluss keine Sicherheit mehr geben kann, retten sich zeitgenössische Arbeiten in ein Ausstellen der hochkomplexen, intransparenten Welt – und kapitulieren davor.

Edward Snowden ist wenig überraschend die Schlüsselfigur, an der sich in Zukunft Geheimdienstagenten im Kino brechen werden müssen, wollen sie Relevanz haben. Es wird nicht wie im retroschicken, nostalgischen „Kingsman“ darum gehen können, einem Superverbrecher mit kuriosen Waffen das Handwerk zu legen. Es wird darum gehen müssen, Haltung zu beweisen und Stellung zu beziehen im Informationskrieg. Einer der politischsten US-Regisseure arbeitet aktuell sogar an einem Film über Snowden: Joseph Gordon-Levitt spielt den ehemaligen Geheimagenten und Whistleblower in Oliver Stones Thriller, der 2016 im Kino erwartet wird.

„Kingsman“ ist als Comic-Adaption für ein junges Publikum deutlich anders gestimmt: Etwas Bewusstsein für die Datensicherheitsschieflagen hätte aber auch diesem Spektakel gut getan. Oder wenigstens eine flottere Inszenierung: Schmähs und gut aufgelegte Nebendarsteller (darunter der wunderbare Michael Caine) können nicht über die visuelle Beliebigkeit hinwegtäuschen. Nur eine Sequenz bleibt in Erinnerung: Hunderte, tausende Köpfe lösen sich in einer musikalisch choreografierten Montage in bunten Rauch und heiße Luft auf. Das drückt auch ganz gut aus, wie man sich als Zuschauer nach den zwei Stunden Dauerspaß fühlt.

zur person

1971. Geboren in London als Sohn einer Schauspielerin und - offiziell - des Schauspielers Robert Vaughn, tatsächlich aber des britischen Aristokraten George de Vere Drummond. (Daher nennt er sich privat Matthew de Vere Drummond).

2002. Heirat mit dem deutschen Model Claudia Schiffer. Gemeinsam haben sie drei Kinder.

2003. Gründung der Filmgesellschaft Marv Films. Debüt als Regisseur mit dem erfolgreichen Film „Layer Cake“.

2007. Regisseur und Produzent des Fantasyfilms „Der Sternwanderer“.

2010. Durchbruch mit dem Film „Kick-Ass“.

2011. Drehbuch und Regie zu „X-Men: Erste Entscheidung“, einem Prequel zur „X-Men“-Filmreihe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2015)

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