Über die Jahre: „Wir sind ja keine Tierfilmer“

„Über die Jahre“
„Über die Jahre“(C) Stadtkino
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In „Über die Jahre“ – ab Freitag im Kino – porträtiert Nikolaus Geyrhalter Arbeitslose im nördlichen Waldviertel. Der „Presse“ erzählte er auch, was er dabei gelernt hat.

Wie die Zeit vergeht: Darum geht es in „Über die Jahre“, dem neuen Film des österreichischen Dokumentaristen Nikolaus Geyrhalter („Unser täglich Brot“). Nach der Schließung einer altgedienten Textilfabrik im nördlichen Waldviertel folgt er den ehemaligen Angestellten zehn Jahre lang beim Weiterleben, zwischen Jobsuche, Hobbypflege und Familie – aber auch der Leerlauf gehört dazu. Es ist das epische Porträt einer ruhigen, stoischen Landexistenz und zugleich eine berückende Zeitreise, wie sie so wohl nur das Kino zu bieten vermag.

Die Presse: Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Wussten Sie schon zu Beginn des Projekts, dass Sie so lange dranbleiben würden?

Nein. Das Thema war: Arbeit haben, Arbeit verlieren. Das wollten wir uns anschauen und haben es damals auf drei oder vier Jahre angelegt. Dass es dann zehn Jahre geworden sind, war nicht geplant, sondern hat sich – Gott sei Dank – so ergeben.

Macht man sich bei so einer Langzeitbeobachtung nicht Sorgen, dass Protagonisten abspringen?

Dann wär's halt so gewesen, wir hatten diesbezüglich keinen großen Stress. Das Risiko muss man einfach eingehen. Es tauchen ja auch jetzt nicht alle Personen linear und gleich oft auf, es gab Drehpausen, wir haben nicht jedes Jahr mit allen gedreht. Wir haben uns daran orientiert, wo es etwas Neues zu erzählen gab. Ich bin in regelmäßigen Abständen ins Waldviertel gefahren, telefonisch hätte das nicht so gut funktioniert.

Die Menschen im Film machen in manchen Fällen keinen besonders offenen Eindruck, ihre Antworten sind oft einsilbig. Frustriert das einen Dokumentaristen?

Manchmal macht es die Arbeit vielleicht ein bisschen anstrengender, aber frustrierend ist es nicht. Dass die Reaktionen nicht meinen Hoffnungen oder Erwartungen entsprechen, darum kann's nicht gehen. Dass wir im Film ganz genau sehen, wie diese Gespräche stattgefunden haben, wie wortkarg die Antworten zum Teil waren, wie sehr die Interviewpartner und wir uns bemüht haben, sprachlich auf eine Ebene zu kommen, das erzählt ja genauso viel.

Das Erzählen spielt, trotz Wortkargheit, eine große Rolle in „Über die Jahre“...

Es ist klar, dass in diesen zehn Jahren auch viel passiert ist, das wir nicht gefilmt haben. Sehr oft redeten wir einfach über die vergangene Zeit. Die Leute brachten uns ein unglaubliches Vertrauen entgegen, sie haben ihr Leben mit uns geteilt. Da ist es schon okay, dass man das auch in einer reflexiven Art präsentiert. Wir sind ja keine Tierfilmer.

Haben die Waldviertler den Film schon gesehen?

Wir haben in Schrems eine interne Vorführung für die Protagonisten und ihre Familien gemacht. Ich hatte ihnen versprochen, dass es quasi eine Abnahme gibt, bevor der Film an die Öffentlichkeit geht. Eigentlich war es eine sehr lustige Vorführung, ganz ohne ernste Kinoatmosphäre. Da wurde viel gequatscht, gelacht – und gleichzeitig erinnert.

Sie sind selbst in Wien aufgewachsen. Was für einen Bezug haben Sie zum Land?

Wenn ich nicht meine Firma und meine Familie in Wien hätte, würde ich wahrscheinlich auf dem Land leben. Trotz der vielen Qualitäten, die Wien einem bietet, ist man dort einfach wenig im Grünen.

Haben Sie die Zeit, die Sie mit den Leuten verbracht haben, genossen?

Ja, natürlich! Aber ich genieße Drehzeit sowieso immer. Es ist ein Privileg, ständig mit neuen Menschen konfrontiert zu sein.

Man kann den Film nicht pessimistisch nennen, aber die Grundstimmung ist doch krisenhaft: Die Leute müssen immer wieder aufs Neue Arbeit suchen, scheinen das aber weitgehend mit Gleichmut zu tragen.

Das hat auch nichts mit Pessimismus zu tun. Ich glaube, dass dieser Gleichmut, dieses Dem-Leben-ergeben-Sein, eine große Qualität ist. Dass die meisten Leute, die wir gefilmt haben, immer wieder aufstehen, ohne große Verbitterung, egal was passiert – das hat mich sehr beeindruckt, und das nehme ich auch selbst mit aus dem Film: dass es einfach weitergeht.

ZUR PERSON

Nikolaus Geyrhalter, geboren 1972 in Wien, ist Regisseur, Produzent und Kameramann. In „Unser täglich Brot“ (2005) porträtierte er – ganz ohne Kommentar – Europas Nahrungsmittelproduktion. Das Festival Diagonale in Graz widmet ihm derzeit eine kleine Werkschau. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2015)

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