"Big Eyes": Wenn Waltz große Augen macht

BIG EYES christoph Waltz amy adams
BIG EYES christoph Waltz amy adams(c) Constantin Film/Studiocanal GmbH
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In „Big Eyes“ gibt sich Christoph Waltz als Urheber kitschiger Bilder aus, die von seiner Frau gemalt wurden. Die Handschrift von Regisseur Tim Burton ist kaum erkenntlich.

Stünde der Name des Regisseurs nicht im Vorspann zu „Big Eyes“, man würde Tim Burton den Film kaum zuschreiben. Berühmt geworden durch eine spezifische Bildsprache verspielten Horrors, hat er seine Filme mit so gruseligen wie liebenswerten Monstern bevölkert. Nicht so in „Big Eyes“, das weder von possierlichen Frankenstein-Tierchen noch von neurotischen Vampiren handelt, sondern von einer realen Person: der Malerin Margaret Keane. Burtons Film zeigt, wie sie in den Fünfzigerjahren vor ihrem Ehemann nach San Francisco flüchtet, ihre Bilder im Kofferraum, die Tochter auf dem Rücksitz. Zum Broterwerb pinselt sie in einer Fabrik Humpty Dumptys auf Kinderbetten, aber ihre Leidenschaft gilt ihrer „Kunst“ – ja, das muss man hier unter Anführungsstriche setzen: Sie malt traurige Kinder mit handtellergroßen Augen. Diese Überzeichnung muss befremdend gewirkt haben, bevor japanische Manga-Comics und Serien sie etablierten. Gerade in einer Zeit, in der die Galerien voll abstrakter Kunst waren.

Auch jene in San Francisco, wo Margaret ihrem Ehemann Nummer zwei in die Arme läuft: Walter Keane, Sonntagsmaler und begnadeter Verkäufer. Er stellt die Bilder vor den Toiletten eines Jazzclubs aus, wo sie zu Verkaufsschlagern werden. Und – als Poster und Postkarten – zum Massenprodukt. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Bald schon lassen sich Berühmtheiten wie die Filmstars Joan Crawford und Natalie Wood Porträts in Keane'scher Marnier anfertigen. Kleiner Schönheitsfehler in der Erfolgsstory: Walter gibt sich als Urheber der Bilder aus. Seine Kunst ist die Lüge: Mit fantasievollen Hintergrundgeschichten schwindelt er sich durch Talkshows. Der Erfolg ihrer Kunst wächst, aber Margaret kann immer schlechter damit leben, dass sie um ihre Urheberschaft und damit um ihre Identität betrogen wird. 1970 macht sie den Schwindel publik, fünf Jahre nachdem sie vor Walter nach Hawaii geflohen ist. In einem langen Gerichtsprozess erstreitet sie das Recht an ihren Werken.

„Ich habe nachgegeben“

„Big Eyes“ erzählt also von später weiblicher Selbstermächtigung. Margaret Keane, von Amy Adams (die dafür mit einem Golden Globe ausgezeichnet wurde) zurückhaltend dargestellt, ist keine typische Feministin. „Ich habe nachgegeben“: So erklärt sie im Prozess, warum sie sich nicht gewehrt hat. Das klingt sehr nach einer braven Hausfrau der Fünfzigerjahre.

Das Geld aus den Verkäufen ihrer Bilder überlässt sie ihrem Exmann. Warum sie erneut nachgibt, das macht der Film nur unzureichend begreiflich. Auch der Ursprung der übergroßen Augen, von Margaret nur mit einem plattitüdenhaften „Die Augen sind die Spiegel der Seele“ erklärt, bleibt im Dunkeln. Die zentrale Frage, ob Keanes Bilder Kunst – sogar gute – oder bloßer Kitsch sind, beantwortet der Regisseur höchstens augenzwinkernd, indem er Andy Warhol zitiert: „If it were bad, so many people wouldn't like it.“

Das Motiv des missverstandenen Künstlers hat Burton (auch mit den Drehbuchautoren Scott Alexander und Larry Karaszewski) schon einmal behandelt – deutlich prägnanter: In seiner meisterhaften Hommage an den „schlechtesten Regisseur aller Zeiten“, „Ed Wood“. Im Gegensatz zu Wood, der gegen das System Hollywood ankämpft, muss Keane sich gegen ihren Mann durchsetzten.

Dabei wäre Walters Schwindel vom ökonomischen Standpunkt her nachvollziehbar. „Frauenkunst verkauft sich nicht“, sagt er. Das stimmt so nicht, aber sie ist billiger. Wenn es um Spitzenpreise in der Kunst geht, liegen Frauen weit abgeschlagen. Doch Walter geht es ohnehin mehr um Macht und Popularität. Christoph Waltz gibt die Figur als Variation der Rolle, die ihm Hollywood so gern gibt: jener des überlegenen Charmeurs, dem etwas Diabolisches innewohnt. Brutaler in „Inglourious Basterds“, comichafter in „Green Hornet“, exaltierter nun in „Big Eyes“. In seiner besten Szene wirft er volltrunken brennende Streichhölzer auf Frau und Stieftochter. Wie er sich später im Gerichtssaal gebärdet, gerät zur Persiflage seiner Paraderolle. Vielleicht erhält er bald eine spannendere Rolle, möglicherweise sogar von Tim Burton. Er gehört zu den Regisseuren, die immer wieder mit denselben Schauspielern arbeiten.

Eine für Burton typische Szene gibt es doch: In einem Supermarkt halluziniert Margaret Menschen mit riesigen Augen, zwischen Campbell-Suppendosen und Brillo-Seifenboxen – den Alltagsgegenständen, die der Meister der Reproduktionskunst, Andy Warhol, zu seinen Motiven erkor.

Ab Freitag, dem 24. April

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2015)

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