„San Andreas“: Kalifornische Desaster-Pornografie

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Brad Peyton verlässt sich in „San Andreas“ auf die Grundsubstanzen der Gattung Katastrophenfilm: Gewalt und Kitsch. Und am Ende wird wieder aufgebaut.

Eigentlich ist heutzutage jeder zweite Film ein Katastrophenfilm: Die effektvolle Verwüstung ikonischer Metropolen gehört in modernen Blockbustern fast schon zum guten Ton, apokalyptischer Bombast gilt als Markenzeichen der Kassenschlager-Oberliga. In diesem Umfeld hat das traditionelle Desasterkino einen schweren Stand. Dessen erste Erfolgswelle schwappte in den Siebzigerjahren über die Leinwände, Filme wie „Airport“, „Die Höllenfahrt der Poseidon“ und „Flammendes Inferno“ punkteten mit Starensembles und Analogeffekten beim Publikum. Der zweite Frühling folgte in den Neunzigern, als „Twister“, „Dante's Peak“ und insbesondere James Camerons „Titanic“ filmtechnische Fortschritte nutzten, um den Maßstab zu erhöhen und das (nunmehr zunehmend computergenerierte) Spektakel in den Vordergrund zu rücken. Seither wurde das Genre vom nicht minder zerstörungswütigen Superheldenfilm verdrängt, nur Roland Emmerich gelangen mit seinen lustvoll-abstrusen Weltuntergangsszenarien („2012“) periodische Wiederbelebungen.

Ex-Wrestler als Kriegsheimkehrer

Nicht nur deshalb wirkt Brad Peytons „San Andreas“ wie ein Anachronismus. Der geradlinige B-Movie-Plot und die schematische Figurenzeichnung des Erdbeben-Actionmelodrams sind ebenfalls Relikte aus vergangenen Zeiten. Anstatt sich bedeutungsschwanger aufzuspielen, verlässt sich der Film auf die Grundsubstanzen seiner Gattung: Krawall und Kitsch.

Der hünenhafte Ex-Wrestler und angehende Weltstar Dwayne „The Rock“ Johnson gibt den Bilderbuch-Sympathieträger Ray: Bereits zu Beginn stellt der Kriegsheimkehrer, Rettungshubschrauberpilot und Familienvater seine Stressresistenz bei einer tollkühnen Bergungsaktion unter Beweis. Leider liegen zu Hause die Scheidungspapiere auf dem Tisch, Ehefrau Emma (Carla Gugino) will mit einem Baumagnaten zusammenziehen, ihre gemeinsame Tochter Blake (Alexandra Daddario) sieht Ray nur noch selten. Da kommt die Katastrophe gerade recht, um die Kernfamilie vor dem Kollaps zu bewahren: Als tektonische Verschiebungen rund um die San-Andreas-Verwerfung beginnen, Rekordwerte auf der Richterskala zu erzielen, brechen die Eltern auf, um ihr Kind aus dem Epizentrum San Franciscos in Sicherheit zu bringen.

Die Erzählung des Trümmerfilms ist klassisch und klischeebeladen. Während ringsum Marmor, Stein und Eisen bricht, halten angestammte Gemeinschaftswerte jeder Erschütterung stand, und alle Figuren bleiben auf ihre Funktion im narrativen Gefüge beschränkt. Im Fall Daddarios ist die Rolle doppelt undankbar – sie fungiert zugleich als Töchterchen in Nöten wie als Zuseher-Lustobjekt, darf aber zumindest sporadische Survival-Skills zeigen. Das Gros der Bürde lastet auf Johnsons massigen Schultern, dessen Ray natürlich ein persönliches Trauma zu bewältigen hat, Paul Giamatti darf als besorgter Seismologe mit Kassandrawarnungen unheilvolle Stimmung schüren.

3-D-Kameraflüge in Hochhäuser

Trotz Reißbretthandlung wäre „San Andreas“ in seiner – gelinde gesagt – freimütigen Inszenierung von gewaltigen Zerstörungsorgien bis vor Kurzem nicht nur aus technischen Gründen undenkbar gewesen – mit diesem Film ist das nach 9/11 herrschende Diskretionsgebot offiziell gefallen. Abgesehen von eher albernen Passagen, in denen z. B. Flutwellen mit dem Schlauchboot gemeistert werden, ergeht sich „San Andreas“ in 3-D-Kameraflügen, die auch ins Innere von wankenden Hochhäusern gleiten und dort wenig der Fantasie überlassen. Zudem wecken wiederholte Wackelaufnahmen von schwellenden Schutt- und Staubwolken unweigerlich Erinnerungen an altbekannte Medienbilder.

Das alles ist zweifellos Desasterpornografie, hat in seiner hell ausgeleuchteten Schamlosigkeit aber auch etwas Befreiendes, zumal die Schleißigkeit der Digitaleffekte jegliche Seriositätsbestrebungen unterläuft: Als die Hauptdarsteller gegen Ende durch die Ruinen San Franciscos waten, sieht der animierte Hintergrund aus wie eine altmodische Rückprojektion.

Dennoch fällt es schwer, den propagandistischen Einschlag des Films auszublenden. Nachdem der familiäre Härtetest bestanden ist und der Staub sich gelegt hat, richtet Ray seinen unbeugsamen Patriotenblick auf eine zerschlissene US-Fahne, die sich pathetisch im Wind entfaltet. „What now?“, fragt seine Frau. „Now we rebuild!“, lautet die Antwort – schließlich ist nach der Katastrophe vor der Katastrophe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2015)

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