„Unknown User“: Cyber-Mord im Kinderzimmer

(c) Universal Pictures
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Im Horrorthriller „Unknown User“ werden Jugendliche von einem virtuellen Poltergeist heimgesucht. Der Film wurde in einem Take gedreht und spielt sich komplett im Videochat ab.

Das Videotelefon läutet. Klick, abheben. Moment, da ist eine Chat-Nachricht. Klick. Eine Facebook-Benachrichtigung. Klick. Zurück zum Video. Schnell ein E-Mail tippen, Musik auf Spotify aufdrehen, durch Instagram scrollen. Und zurück zum Videochat. Klick, klick, klick.

Für die Schülerin Blaire Lily ist das die gewohnte abendliche Multitasking-Übung. Gerade haben sie und ihr Freund Mitch sich per Skype über den Termin, an dem sie ihre Jungfräulichkeit verlieren wollen, geeinigt. Jetzt schalten sich ihre Freunde per Konferenzschaltung ins Gespräch, sechs tratschende Jugendliche in sechs kleinen Videofeldern, die sich über Banalitäten austauschen.

Aber da ist noch ein siebter Gesprächsteilnehmer, der sich nicht rausschmeißen lässt aus dem Videochat. Erst halten die Freunde ihn für einen technischen Fehler, doch dann meldet er sich zu Wort. Sein Account lautet auf den Namen von Laura Barns, einer ungeliebten Mitschülerin der Freunde, die sich vor exakt einem Jahr das Leben nahm, nachdem ein zerstörend peinliches Partyvideo von ihr auf YouTube verbreitet worden war und sie zum Gespött der Schule gemacht hatte.

Verpixelte Gesichter

Hat sich jemand Zugang zum Account der Verstorbenen verschafft? „Nicht lustig“, befindet Blaire. Doch der mysteriöse User, der sich als Lauras Geist gebart, scheint es ernst zu meinen: „Wenn du auflegst, werden alle deine Freunde sterben.“ Und er terrorisiert die sechs Teenager über sämtliche digitalen Kanäle auf der Suche nach einer Antwort: Wer hat damals das Partyvideo ins Internet gestellt?

„Unknown User“ (Originaltitel: „Unfriended“), initiiert von Produzent Timur Bekmambetov und inszeniert vom weitgehend unbekannten russischen Regisseur Leo Gabriadze, verleiht dem medial durchgekauten Thema Cybermobbing mit einem virtuellen Poltergeist einen neuen Dreh. Die Besonderheit dabei: Der ganze Film spielt sich auf der Desktop-Oberfläche der jungen Blaire (Shelley Hennig) ab. Fenster werden herumgeschoben, man hört ihr Getippse und sieht die verpixelten Gesichter ihrer Freunde im Videochat – es ist erstaunlich, wie wenig diese Perspektive anstrengt.

Regisseur Gabriadze näherte sich dem Mikrobudget-Film (die Produktion kostete nur eine Million Dollar) wie einem Theaterstück: Die gut 80-minütige Handlung wurde in einem Take gedreht, die Schauspieler befanden sich dabei allein in einem Zimmer vor dem Computer, an dem eine Action-Kamera befestigt war. Sie mussten über weite Strecken improvisieren, Anweisungen bekamen sie über einen Knopf im Ohr.

Folter im Social-Media-Zeitalter

Mit seinem Found-Footage-Stil (amateurhafte, authentisch wirkende Aufnahmen aus der Sicht der Schauspieler) erinnert „Unknown User“ an Filme wie „Blairwitch Project“ und „Paranormal Activity“, das Horrorinstrumentarium wird hier aber erweitert um die Foltermethoden des Social-Media-Zeitalters. Da werden nicht nur Finger in den Fleischwolf gesteckt und von Teufelsbesessenheit funkelnde Augen ausgestochen, sondern auch geheime Sünden der Freunde aufgeblättert: Sexfotos im Internet, Screenshots als Beweise für allerlei Gemeinheiten. Damit spielt der „Unknown User“ die Teenager geschickt gegeneinander aus und entlarvt sie als selbstsüchtige, leichtsinnige Narzissten, die lieber ihre eigene Haut retten als in dieser Extremsituation zusammenzuhalten. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde, auch kein Online-Gespenst auf Rachefeldzug.

Spannung bezieht der Film großteils aus digitalen Vorgängen. Es ist beachtlich, wie viel Emotion in einem Cursor stecken kann, der unschlüssig zwischen zwei Schaltflächen hin- und herwandert. Eines schafft der Film aber nicht: wirklich Angst zu machen. Obwohl uns diese Welt der Chatfenster und Browsertabs doch viel vertrauter ist, als es die schummrigen Bruchbuden und auf verdächtiges Idyll getrimmten Schauplätze sind, an denen in Horrorfilmen sonst so oft erschreckt wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2015)

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