„Amy“: Retro-Sängerin im Blitzlichtkrieg

Amy Winehouse ist tot
Amy Winehouse ist tot(c) EPA/epa Kangaris (epa Kangaris)
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Sie entdeckte sich als tragische Replikantin der großen Tragödinnen des Jazz: Der Dokumentarfilm „Amy“ zeigt Aufstieg und Verfall von Amy Winehouse (1983–2011).

Blitzlichtgewitter. Das Wort ist abgedroschen. Nach Ansicht des Films „Amy“ sucht man nach einem stärkeren: Blitzlichtsperrfeuer? Blitzlichtkrieg? So physisch beängstigend wirken die Szenen, in denen Amy Winehouse von Fotografen gehetzt wird, die auf der Jagd sind nach einem Bild, das noch drastischer sagt, was ohnehin jeder weiß: Diese Sängerin säuft, dieser Star nimmt zu viele Drogen, diese Frau ist am Ende.

Und sie sah nicht einmal cool aus dabei. Indem er das schonungslos vorführt, unter Benutzung eines reichen Archivs, reiht sich Regisseur Asif Kapadia in die Riege der Fotojäger, posthum allerdings, da kann es nicht mehr schaden. Da ist es die Chronik eines angekündigten Todes, ganz ähnlich wie „Montage of Heck“, die Filmbiografie Kurt Cobains, die bis vor Kurzem lief, etwa im mondänen Wiener Gartenbaukino. Dort folgt jetzt das Drama der Amy Winehouse. Wie Nirvana-Sänger Kurt Cobain ist sie mit 27 Jahren gestorben (er hat sich 1994 erschossen, sie wurde 2011 mit 4,16 Promille Alkohol im Blut tot gefunden), und wie bei ihm legten schon die bekannten Fakten und legt nun der Film klar Gründe für den Niedergang nahe.

„Alte Seele in jungem Körper“

Erstens, wie beschrieben, die Sensationsgeilheit der Medien, gepaart mit den Vermarktungsinteressen der Musikindustrie: „ein Leben in einem schrecklichen Goldfischglas“, wie es einmal in „Amy“ heißt.

Zweitens eine zerfallende Kernfamilie: Sowohl für Cobain als auch für Winehouse war die Trennung der Eltern zumindest ein starker Katalysator für die seelische Zerrüttung. Bei Winehouse milderte das eine starke Bindung zur Großmutter, deren Tod 2006 muss sie schwer getroffen haben. Dazu kam die, nett gesagt, entschlossene Art ihres Vaters, ihre Karriere zu fördern. Er sei mit dem Film unzufrieden, hört man. Doch die Szenen, in denen er etwa seiner zu Tode erschöpften Tochter mit einem Kamerateam in den Urlaub nachreist, sind nicht gestellt.

Drittens Drogen, und bei Winehouse dazu der Alkohol. „Man kann nicht den ganzen Tag kiffen, wenn man bei seiner Mutter wohnt“, so erklärt das Teen-Mädchen Amy schlüssig, warum sie ausziehen will. „Ohne Drogen ist alles langweilig“, sagt sie ein paar Jahre später, nach einer gescheiterten Entziehungskur, einer Freundin.

Diese Erklärungen für die Tragödien würden jedem konservativen Kommentator ins Konzept passen, was nicht gegen sie spricht. Dazu kommt ein schwerer zu fassender Faktor: ein Unbehagen in der Popkultur, das Cobain wie Winehouse geplagt hat. Das Gefühl, ein Epigone zu sein, den Werken der Altvorderen nichts von Gewicht hinzuzufügen, bestenfalls zur Zerstreuung beitragen zu können. „Here we are now, entertain us!“, hörte der späte Punk und noch spätere Hippie Cobain es rufen. Bei Winehouse frappiert die Obsession, mit der sie jahrzehntealte Jazz-Gewänder auftrug, in die Stil- und Lebensspuren von Billie Holiday, Dinah Washington etc. stieg, als ob es etwas anderes als Retro, als Vintage (für sie) gar nicht geben könnte. Als ob es ihr Schicksal sei, tragische Replikantin der alten Tragödinnen zu sein. Heute finde sie „keine echte Musik“, sagt sie, alles sei „verwässert“. Sie sei „eine alte Seele in einem jungen Körper“, formuliert ihr Manager euphemistisch.

Wie alte Seele und junger Körper synchron verfallen, das erschüttert, auch wenn man die Geschichte schon kennt. „This is someone who is trying to disappear“, sagt ein Freund: Das Make-up wird immer verschmierter, das Klicken der Kameras prasselt, die Bilder verschwimmen. Kurz vor dem Ende, auf einer von ihr ungewollten Tournee, als sie in Belgrad live zusammenbricht, sieht man am Rand der Bühne riesige Alkoholreklamen. Sie wirken noch höhnischer als die Schlagzeilen, die Amy Winehouse verfolgten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2015)

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