Das Experiment „Ant-Man“ ist gelungen

(c) Disney Film
  • Drucken

Ein Superheld, den man mit freiem Auge kaum sehen kann: Das war eine Herausforderung für den Marvel-Konzern. Nun hat er es endlich geschafft: Das Ergebnis besticht vor allem, weil die Hauptfigur trotz ihrer Kleinheit so zugänglich ist.

Ameisen sind überall zu Hause. Nur nicht im Marvel-Filmuniversum. Zumindest bis jetzt. Ein gutes Jahrzehnt hat der popkulturelle Platzhirsch daran gearbeitet, den Ant-Man in seinen Superheldenstadl einzugliedern – und dabei eine Handvoll hochkarätiger Autoren verschlissen. Komödiengenie Adam McKay wird das Drehbuch jetzt ebenso zugeschrieben wie dem britischen Duo Joe Cornish („Attack the Block“) und Edgar Wright. Letzterer, immerhin verantwortlich für „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“ und damit eine der besten neueren Comic-Adaptionen, sollte auch die Regie von „Ant-Man“ übernehmen. Sollte, denn im Mai 2014 hat er das Handtuch geworfen. Die offiziellen Kanäle schweigen über den Grund, und ihm selbst wurde wohl vertraglich der Mund verboten. Könnte gut sein, dass die florierende Vorstellungskraft des visuell exzentrischen Edgar Wright nicht in Einklang zu bringen war mit der stromlinienförmigen Marvel-Welt. Interessant: Studios wie Marvel oder Lucasfilm verpflichten immer öfter unverwechselbare Regisseure aus dem Indie-Sektor, untersagen ihnen dann ihre Unverwechselbarkeit und machen aus ihnen etwas bessere Handwerker. Individualität ist nicht erwünscht. Fast wie im Ameisenstaat.

Das Marvel-Kinoprojekt ist eine durchregulierte Markenwelt, der feuchte Traum jeder Marketing-Abteilung und auch nicht ohne Charme für den gemeinen Kinogeher: Der wird alljährlich mit ein, zwei neuen Filmen versorgt, die alle in derselben Fantasiewelt angesiedelt sind und, wenn man so will, miteinander kommunizieren. Nicht zuletzt deshalb war „Ant-Man“ eine gewaltige Herausforderung: Denn wie soll man einen Superhelden, den man mit freiem Auge kaum sehen kann, bildhaft werden lassen? Wie soll man ihn mit den Avengers und anderen Marvel-Figuren verknüpfen?

Flucht vor dem Staubsauger

Das Experiment ist geglückt. Allen produktionsseitigen Schwierigkeiten zum Trotz ist „Ant-Man“, jetzt unter der Regie von Peyton Reed, zu einem der besten Marvel-Filme geworden. Das liegt vor allem an der Zugänglichkeit seiner Hauptfigur, die wie Spider-Man aus der Feder von Stan Lee stammt und auch deshalb eine sehr menschliche Seite hat.

Scott Lang (perfekt: Paul Rudd) sitzt zu Beginn des Films im Knast. Nach seiner Entlassung quartiert er sich bei seinem ehemaligen Zellengenossen ein und versucht, ein anständiges Leben zu führen. Der Plan währt nicht lang: Denn Scott darf seine Tochter, die bei seiner Exfrau und deren neuem Mann lebt, nicht sehen, bis er die fehlenden Alimente bezahlt hat. Also dreht er wieder ein Ding, steigt in ein Stadthaus ein, knackt den Safe im Keller und staunt nicht schlecht. Darin liegt nämlich ein Ganzkörperanzug: Nachdem er ihn angelegt und aktiviert hat, schrumpft er auf die Größe einer Ameise und gewinnt gleichzeitig Superkräfte. Regisseur Peyton Reed hat sichtlich Spaß in dieser Welt en miniature: Der geschrumpfte Held flieht vor Badewasserfluten und Staubsaugerrüsseln, landet auf einem Plattendrehteller und muss in einem vollen Nachtclub einen Weg durch die bedrohlich stampfenden Füße der Tanzenden finden.

Den ersten Auftritt in den Comics hatte der Ant-Man bereits 1962: Zu dieser Zeit waren die Kinos voll mit B-Filmen, die sich für gewöhnlich kritisch und herrlich spekulativ mit den Auswirkungen des grenzenlos anmutenden wissenschaftlichen Fortschritts auseinandersetzten. Schon 1956 veröffentlichte ein zentraler Science-Fiction-Autor des 20. Jahrhunderts, Richard Matheson, den Roman „The Shrinking Man“.

Michael Douglas als Wissenschaftler

Er wurde ein Jahr später von Jack Arnold kongenial fürs Kino adaptiert: Ein Mann beginnt zu schrumpfen, nachdem er in Berührung mit einer radioaktiven Wolke gekommen ist. Der Unterschied zu Ant-Man ist, dass dieser selbst steuern kann, wann er groß und wann er winzig sein möchte. Reed und sein Kameramann Russell Carpenter toben sich vor allem bei den Kampfsequenzen mächtig aus: Im Sekundentakt wechselt Scott Lang seine Körpergröße, was zu einigen der irrwitzigsten und schönsten Momente des Films führt.

Die meisten anderen gehören Michael Douglas: Als Hank Pym gibt er die altmodische Version eines genialen Wissenschaftlers, den die Gravität seiner Erfindung beinahe zu Fall bringt. Sein Unternehmen hat er schon verloren: Pyms eigene Tochter (Evangeline Lilly) und sein ehemaliger Protegé Darren Cross (Corey Stoll) arbeiten an einem eigenen Schrumpf-Anzug, den sie an den Höchstbietenden verkaufen wollen. Aufgrund seiner geringen Größe ist Ant-Man der Einzige, der in das Hochsicherheitsgebäude eindringen und sicherstellen kann, dass die Welt nicht von einer Armee von Ameisensoldaten überrannt wird.

Peyton Reeds Fantasy-Abenteuer folgt nicht der klassischen Superheld-versus-Superschurke-Dramaturgie, sondern dem Genre des Heist- (also: Raubüberfall-)Films. Und das ziemlich gelungen. Die Regie ist dynamisch, das Drehbuch spannend und das einigermaßen verrückte Konzept ermöglicht inszenatorische Freiheiten, die man von aktuellen Großproduktionen schon gar nicht mehr erwartet: Etwa wenn der Ant-Man auf subatomare Größe schrumpft und plötzlich nur mehr abstrakte Formen über die Leinwand tanzen. In 3-D! Ganz groß!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.