"Slow West": Ein bekömmlicher Bio-Western

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Der Schotte John Maclean schickt in seinem ersten Langfilm ein ungleiches Paar auf Prärietour. "Slow West" hat originelle Momente, der Westen ist hier aber mehr mild als wild.

Der Westen der Vereinigten Staaten war schon ein Mythos, bevor er ins Kino kam. Für Greenhorns wie den Jugendlichen Jay Cavendish, der Ende des 19. Jahrhunderts aus der alten in die neue Welt reist, ist es ein magischer Ort voller Gefahren und Verheißungen. Hierher floh sein Herzmädchen Rose mit ihrem Vater vor einer finsteren Vergangenheit; hier will er sie wiederfinden und zum Mann werden. Doch in Colorado, wo die Ureinwohner Fremde sind und die meisten Fremden marodierende Freibeuter, haben unreife Adelssprösslinge aus Schottland eine ausgesprochen niedrige Lebenserwartung. Da kann Jay (gespielt vom knabenhaften australischen Jungstar Kodi Smit-McPhee, der schon im postapokalyptischen Drama „The Road“ durch unwirtliches Gelände zog) von Glück reden, dass sich der ruppige Outlaw-Nomade Silas (maskulin mit Stoppelbart: Michael Fassbender) seiner annimmt. Was diesen motiviert, ahnt er nicht: Auf Rose ist ein Kopfgeld ausgesetzt.

„Slow West“, das Langfilmdebüt des Schotten John Maclean (ehemals Keyboarder von The Beta Band) ist nach „True Grit“ und „The Homesman“ der jüngste Neo-Western, der ein ungleiches Paar auf Prärietour schickt, damit es voneinander lernen kann. Diesmal präsentiert sich die Geschichte im Kleid eines modernen Märchens. Der Weg führt durch verwunschene Wälder, in denen plötzlich auftauchende Indigene wie Fabelwesen erscheinen und der große böse Wolf die Form eines tätowierten Kopfgeldjägers (Ben Mendelsohn) annimmt. Unterwegs nimmt sich der Film Zeit für anekdotische Rückblenden, Lagerfeuergeschichten und Musikeinlagen, zudem fokussiert er immer wieder auf sinnliche Details: die Rauheit einer Baumrinde, durchlöcherte Fensterscheiben aus Wachspapier, knallgelbe Butter, die in der brütenden Hitze auf dem Teller zerfließt.

Atemberaubende Kulissen

Obwohl Schüsse knallen und Leichen fallen – Jay muss töten, um erwachsen zu werden –, wirkt der von Maclean imaginierte Westen eher mild als wild. Für diesen Eindruck sorgen nicht zuletzt Lichtsetzung, Farbgebung und Landschaftsbild: Die gemessen dahintrabende Odyssee führt von einem pittoresken Idyll ins nächste, Kameramann Robbie Ryan kleidet jede Einstellung in verklärenden Honigflor. Die Kulissen sind atemberaubend schön (und in ihrer satten Buntheit näher an Technicolor-Genreklassikern als an rezenten Neo-Western), aber äußerst inhomogen: Von einer Szene zur nächsten verwandeln sich strahlende Blumenwiesen in gähnendes Flachland und umgekehrt. Das verleiht „Slow West“ eine traumwandlerische Note und erinnert an Lisandro Alonsos rezentes Ausnahmewerk „Jauja“, in dem Hauptfigur Gunnar (Viggo Mortensen) auf der Suche nach seiner flüchtigen Tochter durch patagonische Wunderwelten wandert. Die Ursache für den somnambulen Effekt liegt produktionsseitig: Gedreht wurden alle Szenen in der polymorphen Pampa Neuseelands – die schottischen Rückblenden ebenso wie die Colorado-Haupthandlung.

Die rosarote Kamerabrille lässt sich damit erklären, dass „Slow West“ durch die unbedarften Augen seines 16-jährigen Protagonisten auf die Welt blickt. Am Schluss schießt sich der Film mit seiner manieristischen Ästhetik dennoch selbst ins Bein. Als es nämlich zum dramatischen Showdown auf Leben, Liebe und Tod kommt, wirkt auch dieses Bedrohungsszenario mit seinem gewollten Pathos wie ein Kinderspiel: Selten sah man ein derart liebreizend-putziges Kreuzfeuer, selbst die Blutspritzer auf dem Bretterboden scheinen fein säuberlich mit dem Pinsel aufgetragen.

Überhaupt empfiehlt sich Maclean als vielversprechender Stilist, schafft es aber nur selten, den gezierten Gesten seines Erstlings Gewicht zu verleihen – trotz pointierter Momente und origineller Kabinettstücke (ein slapstickhaft missglückter Pferderaub bleibt besonders in Erinnerung), trotz seines Gespürs für digitale Bilder und einer trefflichen Besetzung. Auf seine eigentümliche Art ist „Slow West“ der erste glutenfreie Bio-Western – sehr bekömmlich, aber satt wird man davon nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2015)

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