„Die Lügen der Sieger“: Medien im Teufelskreis der Macht

„Die Lügen der Sieger“
„Die Lügen der Sieger“(c) Thimfilm/ MARTIN_VALENTIN_MENKE
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Der Verschwörungsthriller „Die Lügen der Sieger“ kontrastiert die Lebensräume der Strippenzieher mit denen ihrer Opfer. Trotz zuweilen klischeehafter Figuren ist Regisseur Hochhäusler eine Genreperle gelungen.

Im Februar 2013 veröffentlichte der Regisseur Dietrich Brüggemann einen Blogeintrag mit dem polemischen Titel „Fahr zur Hölle, Berliner Schule“. Die kurze Wutrede stellte Arbeiten einer losen Gruppe von Filmemacherinnen und Filmemachern an den Pranger, die seit Mitte der Neunzigerjahre versucht haben, dem profilschwachen deutschen Kino mit einer bewusst reduzierten Stilistik neue Konturen zu verleihen. International fanden die formal präzisen Sozialreflexionen von Angela Schanelec, Christian Petzold und ähnlich gesinnten Kollegen immer wieder großen Anklang, zu Hause war man oft weniger empfänglich: Brüggemann warf den Filmen ästhetische Frigidität vor – unfähig, „ein einziges echtes Gefühl auszulösen“ – und er war mit seinem Urteil nicht allein.

Besonders Industrievertreter monierten, die spröde neue Welle würde das heimische Publikum vergraulen. Hinter der Kritik spürte man jedoch altbekannte Komplexe: Hier musste einmal wieder das böse Kunstkino als Prügelknabe für die Unfähigkeit der deutschsprachigen Filmlandschaft herhalten, eine gesunde Genrekultur nach (heute eigentlich nur noch bedingt gültigem) US-Vorbild zu etablieren – kluge Unterhaltung also, populär und politisch zugleich.

Ein Film, der sich viel vornimmt

Ironischerweise hat Brüggemann – die Schelte hat er seither ein Stück weit zurückgenommen – zuerst ein sprödes Arthaus-Drama („Kreuzweg“) realisiert, bevor er mit der Neonazi-Komödie „Heil“ den Versuch unternommen hat, seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.

Indes liefert nun ausgerechnet der ehemalige Berliner Schüler Christoph Hochhäusler mit dem Verschwörungsthriller „Die Lügen der Sieger“ eine Genreperle, die Paranoia-Klassikern aus den Siebzigerjahren ebenso nacheifert wie den zeitgenössischen Düsterkrimis David Finchers. Im Grunde kein Wunder: Hochhäusler ist Mitbegründer der cinephilen Zeitschrift „Revolver“ und hat Hollywood nie kategorisch abgelehnt. Seine frühen Filme haben bereits gedämpfte Spannungselemente enthalten, die in seinem Beitrag zum TV-Triptychon „Dreileben“ aufgekeimt sind und nun deutlich hervortreten. Das gilt auch für andere aus dem Berliner-Schule-Umfeld: Christian Petzold hat unlängst einen sehenswerten „Polizeiruf“ gedreht.

„Die Lügen der Sieger“ nimmt sich viel vor. Nicht alles geht auf, aber im derzeitigen Kinokontext zählt der Versuch schon einiges. Der Film folgt Fabian Groys (nur auf den ersten Blick gegen den Strich besetzt: Florian David Fitz), einem investigativen Journalisten für das fiktive Berliner Nachrichtenmagazin „Die Woche“, der zusammen mit der ehrgeizigen Volontärin Nadja (zugeknöpft: Lilith Stangenberg) den Hintergründen eines bizarren Todesfalls nachspürt. Ein Afghanistan-Veteran hat sich im Zoo in das Löwengehege gestürzt: Posttraumatische Belastungsstörung oder dunkle Machenschaft? Das Komplott entblättert sich wie eine faulige Zwiebel, der Kern sitzt tief im Innern und hoch über der Stadt, in den gläsernen Schaltzentralen der Großkonzerne und PR-Agenturen – dort, wo Lobbyisten informelle Tischgespräche mit Ministern proben.

Die Strippenzieher haben das Reporterteam von Anfang an im Visier. Hochhäuslers zusammen mit dem Romanautor Ulrich Peltzer verfasstes Drehbuch kontrastiert die Denk- und Lebensräume der Mächtigen mit denen ihrer Opfer. Die einen schmieden in sterilen, ebenmäßigen Sitzungszimmern skrupellose Überwachungsstrategien („Facebook hackt heute jeder Zwölfjährige“), während in der „Woche“-Redaktion noch ganz altmodisch über Verantwortung und Presseethos diskutiert wird. Zuweilen wirkt die Figurenzeichnung klischeehaft (Groys macht sich als Lebemann und Porsche-Fahrer mit Spielschulden angreifbar), aber der Film besticht mit einer Fülle an Milieudetails, authentischen Drehorten und der heißkalten Breitwand-Kameraarbeit Reinhold Vorschneiders: Gleitende Seitwärtsfahrten täuschen Spielraum vor, den es eigentlich gar nicht gibt; der 360°-Schwenk durch das Protagonistenzimmer wird zum Teufelskreis. Interessant ist auch Benedikt Schiefers nervöser Bläsersoundtrack, der im Verbund mit der oft abgehackten Montage für unablässige Unruhe sorgt.

Finstere Grundstimmung

Manchmal drohen die formalen Schnörkel und Siebziger-Stilzitate des Films zum bloßen Selbstzweck zu verkommen, und nicht jede Handlungswendung ist nachvollziehbar, doch seine finstere Grundstimmung hält er konstant aufrecht. Am Ende steht eine bitterböse Schlussfolgerung: Wie sehr sie sich auch abrackern, letztlich berichten die Medien über jene Realität, die ihnen von der Industrie und der Politik vorgesetzt wird. Ein dermaßen düsteres Deutschland-Bild gibt es sonst nur bei Dominik Graf. Natürlich handelt es sich dabei um eine plakative Zuspitzung – aber ohne Desillusionierung ist Aufklärung auch im Kino undenkbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2015)

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