„The Limits of Control“: Operation Jarmusch

(c) Tobis
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In „The Limits of Control“ sucht ein einsamer Killer nach seinem Auftrag – und Kultregisseur Jim Jarmusch nach der reinen Form: Herausgekommen ist dabei hoch eleganter Leerlauf vor schönen spanischen Landschaften.

Ein einsamer Mann bei Tai-Chi-Übungen in einer Flughafentoilette. Eine Schuhputzmaschine. Draußen in der Halle trifft der Mann drei andere Männer, die auf einer Sitzgruppe lümmeln und – durch Übersetzungen mutwillig in die Länge gezogen – Aphorismen austauschen. Dahinter scheint sich ein Auftrag zu verbergen. Der einsame Mann macht sich auf den Weg. Mehr erfährt man nicht.

Lakonie, Ironie und Philosophie. Gelassenheit, Gleichmut und Geheimnis. Gekleidet in eine schlafwandlerische Abfolge kühler, sauberer, attraktiver Bilder. Das sind die Markenzeichen des US-Regisseurs Jim Jarmusch, seit er 1984 mit Stranger Than Paradise zum Inbegriff eines coolen, trockenen unabhängigen Kinos wurde. Mit The Limits of Control – nach William S.Burroughs betitelt – geht Jarmusch nun buchstäblich an die Grenzen seiner Ästhetik: Sie scheint der einzig wahre Existenzgrund dieses Films.

In Jarmuschs früherer Auftragskiller-Ballade Ghost Dog diente noch der japanische Hagakure-Kodex als Leitfaden für die Weltanschauung eines von Forest Whitaker gespielten Attentäters. Auch den neuen Film beherrscht ein starker Schwarzer, offenbar in verschwörerischem (tödlichen?) Auftrag unterwegs, selbstbewusst verkörpert vom charismatischen Akteur Isaach De Bankolé. Aber was ihn leitet, ist keine Haltung oder Ideologie (trotz einer unglücklichen „politischen“ Schlusswendung). Die Mission, die den Einsamen durch Spanien führt, könnte einfach „Operation Jarmusch“ heißen.

Starparade leistet Freundschaftsdienste

Zu leicht psychedelischem Rock und Acid Jazz (den Großteil des Soundtracks bestreitet die angesagte japanische Band „Boris“) bewegt sich der schweigsame Protagonist durch sich wiederholende Versuchsanordnungen. Existenzialistische Coolness ist sein Grundzustand, Psychologie gibt es nicht: Also definiert er sich unterwegs weniger über die zurückhaltenden Reaktionen auf seine ausnahmslos exzentrischen Kontaktpersonen, sondern über Gewohnheiten und Idiosynkrasien: Er praktiziert Tai-Chi, er geht wiederholt ins Madrider Reina-Sofia-Museum (um jeweils nur ein Bild zu studieren), und während er in Cafés auf seinen nächsten Kontakt wartet, bestellt er immer zwei Espressi und besteht darauf, dass sie in zwei separaten Tassen serviert werden.

Nicht nur das mündet in schmähstade Dialoge, wie sie Jarmusch liebt. „You don't speak Spanish, do you?“ ist das wiederkehrende Passwort bei den Treffen, dann werden Streichholzschachteln mit Geheimnachrichten getauscht, dazu sagt das jeweilige Gegenüber des einsamen Wanderers einen Monolog auf. Eine veritable Starparade leistet dabei Freundschaftsdienste für Jarmusch: John Hurt macht Wortspiele über Böhmen und Bohemiens, Gael García Bernal tut manisch, Bill Murray gibt „den Amerikaner“ als unsympathische Cheney-Rumsfeld-Kreatur, und die göttliche Tilda Swinton lässt sich nieder, ganz in Weiß, mit Stetson und Perücke, um klischeehaft das Loblied anzustimmen auf die Filme von früher, die natürlich schöner waren. „Manchmal mag ich es, wenn die Leute in Filmen nur dasitzen und nichts sagen.“ Dann sitzen sie und De Bankolé nur da und sagen nichts.

Was Witz und Wort betrifft, ist das leider emblematisch für The Limits of Control:Jarmuschs Orchestrierung von Bewegungen, Blicken und Landschaften; der bezwingend ruhige Rhythmus seiner Arrangements, die (durch Spiegelbilder und ineinander geschachtelte geometrische Formen noch betonte) Klarheit der Kompositionen – all das ist hinreißend und vom Edelkameramann Chris Doyle bildschön eingefangen. Doch dann macht wieder jemand den Mund auf, und die Magie verpufft. Denn was geredet wird, bleibt so banal – oder ist manchmal, noch schlimmer: pseudoprofund auf Pennäler-Art –, dass es ein recht schlechtes Licht wirft in dieses ansonsten so zielstrebig elegant ins Leere laufende Filmkonstrukt.

Parodie: Eine nackte Femme fatale

Man mag sich zwar mit dem Kinoliebhaber Jarmusch (und im Sinne von Swintons Monolog) an seinen cineastischen Spielereien erfreuen – selbst da, wo sie blöd sind, wie der Auftritt von Paz de la Huerta als Parodie einer Femme fatale: immer nackt und bebrillt, die Pistole in der Hand. Jarmusch lässt seinen existenzialistischen Antihelden mit „Air Lumière“ fliegen, seine Produktionsfirma hat er gleich nach dem modernen Krimiklassiker Point Blank benannt. Wie darin Lee Marvin soll De Bankolé wohl eine Art Naturgewalt sein, die das (gebremste) Marschtempo vorgibt – als „Geheimnisvoller Fremder“ in der deutschen Version, im Original doch zwingender einfach ein „Lone Man“: Der Genreausbau von Jarmusch ist ohne die Knappheit des amerikanischen Idioms nicht denkbar (selbst die spanischen Schauplätze des Films haben einen instinktiven transatlantischen Touch).

Aber im Willen, Kunst zu machen, vergisst Jarmusch auf die Kunst der Genügsamkeit. So lösen sich die Mysterien auf – jedes Bild, das im Museum betrachtet wird, hat eine Bedeutung für die Geschehnisse, jeder zweite gekünstelte Halbsatz behauptet sie –, aber im Nichts: Die wohl angestrebte reine Form wird zum reinen Formalismus. Gegen Ende sieht man eine der Streichholzschachtel-Nachrichten: ein leeres Blatt. Das ist die Essenz von The Limits of Control: Es ist der beste bedeutungslose Film des Jahres.

Independent-Ikone

Jim Jarmusch (*1953, Akron, Ohio) ging in den 70ern nach New York, wo er Englisch und Film studierte. Der lakonische, reduzierte Stil und der trockene Humor seines zweiten Films „Stranger Than Paradise“ (1984) wurden prägend für das Independent-Kino Amerikas und für seelenverwandte Euro-Kunstfilmer wie Aki Kaurismäki. Kultstatus verdankt Jarmusch nicht nur Filmen wie „Mystery Train“ (1989), „Dead Man“ (1995), zuletzt „Broken Flowers“ (2005) und der Kollaboration mit Musikern wie John Lurie, Neil Young und Tom Waits, sondern auch seinem Sonnenbrillenimage: Sein Auftreten ist so cool wie seine Filme.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2009)

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