„The Visit“: Die Welt aus außerirdischer Sicht

 Schrullige Prämisse, doch philosophisch spannend: das Gedankenspiel „The Visit“.
Schrullige Prämisse, doch philosophisch spannend: das Gedankenspiel „The Visit“.(c) Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion
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Der Dokumentarist Michael Madsen untersucht in „The Visit“, wie Menschen auf Besuch aus dem All reagieren würde. Gedreht wurde großteils in Wien.

Was würde passieren, wenn Außerirdische auf unserem Planeten landen? Fragt man das Science-Fiction-Kino, lautet die Antwort meistens: Chaos, Panik, Untergang. Aber realistisch betrachtet (soweit das Fall möglich ist) wäre die Sache wohl komplizierter. Der dänische Dokumentarist Michael Madsen (nicht zu verwechseln mit dem US-Schauspieler) lässt sich in „The Visit“ (nicht zu verwechseln mit M. Night Shyamalans Horrorfilm) auf dieses Gedankenexperiment ein und unterzieht es einer spekulativen Probe aufs Exempel.

Mit klassischen Dokumentarzugängen hat Madsens Konzeptkunst nur bedingt zu tun. Schon sein Film „Into Eternity“ handelte nominell von einem finnischen Langzeitlager für Atommüll, beschäftigte sich aber eigentlich mit den Paradoxien grenzenlosen Vorausplanens. Später stieß der Regisseur mit „The Average of the Average“ beim Versuch, ein im wörtlichen Sinne durchschnittliches dänisches Dorf zu porträtieren, an die Grenzen statistischer Erkenntnis. Auch „The Visit“ erweist sich trotz schrulliger Prämisse als spannende philosophische Auslotung der Begriffe Menschheit und Gesellschaft.

Bemerkenswert ist, dass Madsen allerlei seriöse Figuren für sein Spiel gewinnen konnte: Wissenschaftler, Diplomaten, ehemalige Militärs und Weltraumexperten fabulieren in die Kamera, als würden sie einem Alien gegenübersitzen (und als wäre der Ankömmling des Englischen mächtig). Ein Anwalt bemüht sich um die Etablierung interplanetaren Meta-Rechts, während ein Astrobiologe um die Stabilität der Ökosphäre angesichts einer neuen Lebensform bangt. Doch eines ist klar: Bevor es zu irgendwelchen Debatten kommen würde, müsste absolute Sicherheit gewährleistet sein. Ganz ähnlich wie bei anderen Ausnahmeszenarien – etwa Naturkatastrophen größeren Maßstabs – stünde die Wahrung sozialer Ordnung an vorderster Stelle: „Der Mensch würde eher alles zerstören, als die Illusion aufzugeben, dass er alles unter Kontrolle hat“, heißt es an einer Stelle.

Bundesheer-Übung mit Aliens

Die oft humorvolle Abfolge von Talking Heads in symmetrischen Breitwandeinstelllungen wird ergänzt von verfremdeten Aufnahmen eines „extraterrestrischen“ Kameraauges, das an verwunderten Passanten vorbei durch heimische Straßen gleitet: Auch weil sich das UNO-Büro für Weltraumfragen in Wien befindet, wurde die Doku zu großen Teilen hier (und mit Unterstützung der Geyrhalter Filmproduktion) gedreht. So darf sogar das Bundesheer eine Begegnung der dritten Art durchexerzieren, wobei die potenzielle Bedrohung nie verbildlicht wird. Mit der Zeit läuft sich die Ästhetik von „The Visit“ tot: Nach zwanzig Zeitlupensequenzen verliert der Effekt seine Wirkung, da helfen auch Vogelperspektiven und die sphärische Soundkulisse nichts. Mysteriös bleibt hingegen eine Art surrealer Film im Film: Ein Weltraum-Ingenieur im orangen Schutzanzug wird entsandt, um das Raumschiff zu inspizieren – und spaziert plötzlich durchs Kunsthistorische Museum, als wäre es eine unheimliche Mondlandschaft. Befremdlicher als jedes Untier aus dem All, so scheint es, sind wir selbst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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