Film: Zeigen die Täter Reue? Nein, sie drohen!

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Oppenheimer legt mit „The Look of Silence“ ein Meisterwerk über die Massaker in Indonesien in den 1960er-Jahren vor: Der Optiker Adi, dessen Bruder ermordet wurde, sucht Mitglieder der Todeskommandos auf.

Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Film unmittelbaren und nachweislichen Einfluss auf die Politik eines Landes nimmt. Umso beachtlicher ist die Wirkungsgeschichte von Joshua Oppenheimers außergewöhnlicher Doku „The Act of Killing“ aus dem Jahr 2012. Ihre Protagonisten sind Massenmörder: Ehemalige Mitglieder und Anführer indonesischer Todeskommandos, die in den Jahren 1965 und 1966 im Auftrag der vom Westen unterstützten Suharto-Diktatur systematisch Massaker an Kommunisten, Regimegegnern und Angehörigen der chinesischen Minderheit verübten. In ihrer Heimat wurden sie dafür als Helden gefeiert und nie für ihre Verbrechen belangt, viele bekleiden nach wie vor Machtpositionen. Oppenheimers Film bot ihnen eine Bühne, ließ sie prahlen und ihre Gräueltaten nachstellen, doch sukzessive führten uns die immer grelleren und bizarreren Selbstinszenierungen der Täter die massive Kluft zwischen staatlich sanktionierter Fantasie und traumatischer Wirklichkeit vor Augen.

„The Act of Killing“ räumte Preise auf Festivals ab, wurde für den Oscar nominiert und von der Kritik gefeiert. Es gab auch Gegenstimmen: Einige fanden den Fokus auf die Täter und die an Werner Herzog geschulte Form des Films, die „ekstatische“ (sprich: stilisierte) Wahrheiten scheinobjektivem Verismus vorzieht, moralisch fragwürdig. Allerdings wirken solche Vorhaltungen angesichts seiner prekären Entstehungsbedingungen und der Folgen seiner Veröffentlichung in Indonesien eher spitzfindig.

Der Bruder wurde ermordet

In Zusammenarbeit mit lokalen Aktivsten und Menschenrechtsgruppierungen konnte Oppenheimer „The Act of Killing“ gegen den Willen der autoritären Regierung einem breiteren indonesischen Publikum zugänglich machen, was zu einem gesellschaftlichen Umdenken in Bezug auf den öffentlichen Umgang mit dem Genozid geführt hat – nach Bekanntgabe der Oscar-Nominierung wurde der Völkermord von einem Sprecher des amtierenden Präsidenten erstmals als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt.

Nun startet mit „The Look of Silence“ der zweite Teil von Oppenheimers Auseinandersetzung mit der blutigen Historie des Inselstaats in den österreichischen Kinos. Er wendet sich den Angehörigen der Opfer zu und ist als Komplementärstück zum Erstling gedacht, funktioniert aber ebenso gut als eigenständiges Werk. Im Zentrum stehen der Optometrist Adi und seine Familie. Noch vor Adis Geburt wurde sein Bruder Ramli von einer Todesschwadron hingerichtet, und die Wunde dieses Verlusts schwärt unaufhörlich. Adis Mutter hat die Hoffnung auf Gerechtigkeit längst aufgegeben, sie tröstet sich mit dem Glauben an Vergeltung im Jenseits und ist nicht gerade begeistert, als ihr Sohn sich entschließt, zusammen mit dem Regisseur die Mörder von damals aufzusuchen und mit unangenehmen Fragen an deren Weltbildern und Denkgebäuden zu rütteln.

Adis Suche nach Reue bleibt erfolglos. Seine vorsichtigen Bemühungen, den von ihm interviewten Tätern die ideologischen Scheuklappen abzunehmen (er bietet ihnen Sehtests an, um die Atmosphäre aufzulockern) und sie mit dem von ihnen begangenen Unrecht zu konfrontieren, werden mit allen möglichen Verdrängungstaktiken quittiert: Ausreden, Zurückweisungen, Drohungen. Wer ständig in der Vergangenheit herumwühle, sagt einer, brauche sich nicht zu wundern, wenn das Töten wieder von vorn beginne. Ein anderer fragt Adi, aus welchem Subdistrikt er stammt – eine Auskunft, die wohlweislich verweigert wird. Dennoch musste die Familie des „Muckrakers“ nach dem Dreh aus Sicherheitsgründen umziehen.

Schlägertrupps vor den Kinos

Verstörende Interviewpassagen strukturieren den Film, doch sein Ziel ist nicht die Anklage von Einzelpersonen. Oppenheimer geht es um die poetische Vermittlung des Gedankens, dass eine auf Angst und den Lügen der Sieger gebaute Gesellschaft nur Unglück produziert. Symbolisch für eine umfassende Lähmung des nationalen Gewissens und der Ohnmacht der Opfer stehen überhöhte Szenen, in denen Adi fassungslos auf einen Fernseher starrt, der im Zuge der Recherchen für „The Act of Killing“ entstandene Aufnahmen von freudig und freimütig erzählenden Tätern zeigt, darunter auch Berichte der Mörder seines Bruders. „The Look of Silence“ zeigt vor allem die Obszönität der Unmöglichkeit von Trauer (oder potenzieller Aussöhnung) in einer Kultur auf, die den Todeskult perpetuiert – Adis Sohn wird in der Schule mit der gleichen Propaganda eingedeckt, die früher der Gewalt Vorschub leistete.

In einer schwer erträglichen, äußerst eindringlichen Sequenz kriecht der demente Vater des Protagonisten verängstigt durch ein kahles Zimmer und wähnt sich im Haus eines anderen. Diese grausame Metapher totaler Entfremdung hat Adi selbst gedreht, als ihm in einem Moment der Verzweiflung klar wurde, dass es auch ein Zu-Spät für Aufarbeitung gibt. Die Reaktion der indonesischen Machthaber auf „The Look of Silence“ fiel im Übrigen weitaus heftiger aus als auf „The Act of Killing“, das Militär engagierte Schlägertrupps, um Kinobetreiber einzuschüchtern und Vorführungen des Films zu verhindern. Jüngsten Berichten zufolge wird auch Zensur wieder strenger betrieben – es könnte sein, dass das rezente Tauwetter im Land nur ein vorübergehendes war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

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