„Zwischen Himmel und Eis“: Ein Mahnruf aus dem (ewigen) Eis

 Ein wiederkehrendes Bild in „Zwischen Himmel und Eis“: Lorius, der sehnsüchtig über das ewige Eis blickt.
Ein wiederkehrendes Bild in „Zwischen Himmel und Eis“: Lorius, der sehnsüchtig über das ewige Eis blickt.(c) Filmladen
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In „Zwischen Himmel und Eis“ rekonstruiert Luc Jacquet das Forscherleben des Glaziologen Claude Lorius – mit spannenden Archivaufnahmen, doch zu viel Pathos.

Claude Lorius steht allein auf einem Schneefeld. Mit glasigen Augen blickt er in die Weite der Antarktis. Lorius ist 83 Jahre alt und hat zehn Jahre seines Lebens in der größten Eiswüste der Erde verbracht. Er ist Glaziologe, hat anhand von Eisproben das Erdklima vergangener Jahrtausende untersucht und erkannt: Der Klimawandel und die Konzentration von Treibhausgasen hängen zusammen, die globale Erwärmung ist menschengemacht. „Heute bin ich ein alter Mann, der traurig feststellt, dass er recht hatte“, sagt die Erzählstimme in Luc Jacquets Dokumentarfilm „Zwischen Himmel und Eis“.

Der Regisseur (und studierte Ökologe), der 2005 in seinem Oscar-prämierten Film „Die Reise der Pinguine“ auf beachtliche Weise den Marsch von Kaiserpinguinen zu ihren Brutstätten im Landesinneren der Antarktis dokumentiert hat, kehrt mit seinem neuesten Film ins ewige Eis zurück, um Lorius' Geschichte zu erzählen: Mit 23 Jahren, als Student, brach dieser zu seiner ersten Expedition in die Antarktis auf. Ein Jahr verbrachte er mit Kollegen auf der Forschungsstation Charcot. Die Bedingungen waren unmenschlich: Bei Windgeschwindigkeiten bis zu 200 km/h und Temperaturen jenseits des Vorstellbaren nahm er Proben und kritzelte die Ergebnisse seiner Messungen mit zitternden Fingern in sein Notizbuch. Dennoch war die Expedition eine Erfahrung für ihn, aus der sich seine gesamte Biografie ergeben würde. 22 Mal reiste er in diese „unwirtlichen, aber berauschenden Breiten“.

Klimageschichte im Whiskyglas

Jacquet rekonstruiert Lorius' Forscherleben mithilfe von mühsam zusammengesammeltem Archivmaterial. Es ist bemerkenswert, mit welcher Detailtreue die Forscher ihren Alltag in der Station einfingen: Sie filmten sich nicht nur bei der Arbeit, auch beim Essen oder beim Blödeln mit den Pinguinen. Durch den Schnitt und die Kombination mit orchestraler Musik und der Stimme des Erzählers (in der deutschen Version: Max Moor) wird aus den alten Aufnahmen eine Geschichte, die in ihrer Stringenz und Stimmigkeit auch von Anfang bis Ende durchinszeniert sein könnte.

Lorius und seine Kollegen sind Getriebene der Wissenschaft: Sie sprengen und bohren drauflos, voller Neugier, aber ohne eine Ahnung, was sie dabei entdecken werden. Oft hilft der Zufall mit: Als die Forscher sich etwa ein Glas Whisky mit Eiswürfeln, die sie aus großer Tiefe geborgen haben, genehmigen, fällt Lorius auf, dass beim Schmelzen des Eises Luftbläschen aufsteigen. Die könnte man doch analysieren – immerhin schließt das Eis die Luft ein, die hier vor hunderten, tausenden Jahren wehte! Lorius bohrt tiefer und tiefer, am Ende hat er Eisproben, die 400.000 Jahre Klimageschichte erzählen.

Lorius' Forschungsergebnisse werden mit einer Einfachheit erklärt, die wohl auch die letzten Leugner des Klimawandels bekehren soll. Allzu viel Pathos steckt dafür in den Bildern, die zwischendurch an das drohende Ende des Planeten erinnern: Wiederholt streicht etwa Lorius' Hand über schmelzende Eisplatten, einmal steht er in einem gerodeten Wald, dann bis zur Hüfte im Wasser vor einer winzigen Insel. Dieser Versuch, seinen abenteuerlichen Erlebnissen und Entdeckungen eine mahnende Note zu geben, hätte nicht sein müssen, nein: Er untergräbt sogar Jacquets Filmkunst. Die atemberaubenden Naturaufnahmen und das spannend aufbereitete Archivmaterial würden nämlich schon für sich selbst sprechen. Da braucht es nicht das Bild des alten Forschers, der immer und immer wieder sehnsüchtig auf eine Welt blickt, die seinen Enkeln vielleicht nicht mehr gegönnt sein wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2015)

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