„Youth“: Die Nobelnabelschau

Ennui vor Postkartenkulisse: „Youth“ spielt in einem Schweizer Sanatorium. Gedreht wurde teilweise sogar in Davos.
Ennui vor Postkartenkulisse: „Youth“ spielt in einem Schweizer Sanatorium. Gedreht wurde teilweise sogar in Davos.(c) Filmladen
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In „Youth“ führt der italienische Paolo Sorrentino in ein Wellnessparadies. Doch dort findet er vor allem Binsenweisheiten und bemühte Skurrilitäten. Da helfen auch Michael Caine, Harvey Keitel und viele Stargäste nichts.

Im Dachgarten einer herrschaftlichen Villa singt eine iranische Stripperin mit blonden Flechtzöpfen „La vie en rose“. Kurz darauf sehen wir sie im Trophäenraum eines Luxemburger Großwildjagdverbands ihre Zehennägel schneiden. Das Schnippen der Schere schlägt in den Eighties-Schlager „Lessons in Love“ von Level 42 um, und eine Überblendung führt uns an einen Strand, wo man ausgelassen Koks schnupft und Quadrillen tanzt. In diesem Moment flüstert der Protagonist mit Tränen in den Augen: „Die Katze ist ein unabhängiges Tier!“

Das ist keine Szene aus „Youth“, dem neuen Film von Paolo Sorrentino. Es könnte aber eine sein, traut man der italienischen Satireseite Libernazione. Dort findet sich ein automatischer Szenengenerator, der reihenweise sinnfreie Sorrentino-Miniaturen ausspuckt. Diese Online-Kuriosität belegt den Welterfolg des Regisseurs aus Neapel, und sie bringt die Schwächen seiner Arbeit auf den Punkt. Sorrentino ist ein ausschweifender Stilist, der knallig-üppige Bilder, Töne und Gesten am Fließband serviert. Seine erratischen Stilkapriolen haschen nach Bedeutsamkeit, greifen aber meist zu kurz.

Der Durchbruch gelang ihm 2008 mit „Il divo“, einem so poppigen wie barocken und bedeutungsschweren Porträt des italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti. „La grande bellezza“, Sorrentinos Update von Fellinis „La dolce vita“ für die Berlusconi-Ära, bekam 2014 den Auslands-Oscar. Es ist auch sein wohl bester Film: Über den künstlerischen Gehalt fahriger Erzählungen voller pompöser Manierismen kann man streiten, bei einer Meditation über die Flüchtigkeit von Schönheit und die Substanzlosigkeit römischer Highlife-Dekadenz scheint dieser Stil zumindest nicht unangemessen.

Sinnkrisen als Zeitvertreib

„Youth“, nach „This Must Be the Place“ (2011) Sorrentinos zweiter Versuch, im englischsprachigen Raum Fuß zu fassen, wirkt hingegen wie eine unwillkürliche Selbstparodie. Wieder geht es um erfolgs- und wohlstandsverwöhnte alte Herren, die sich mit Sinnkrisen die Zeit vertreiben. Diesmal laborieren Michael Caine und Harvey Keitel als Komponist Ballinger und Regisseur Boyle im noblen Schweizer Sanatorium vor Postkartenkulissen an Nostalgie, Ennui und Prostataproblemen. Der Zauberberg (gedreht wurde u. a. im Davoser Hotel Schatzalp) ist heute ein modernes Wellnessparadies, aber nach wie vor bevölkert von markanten Sonderlingen: etwa einem feisten Maradona-Verschnitt mit Marx-Tattoo auf dem Rücken oder einem jungen US-Schauspieler (Paul Dano), der sich mit einer Hitler-Darstellung von seinem Blockbuster-Image distanzieren will – Shia LaBeouf lässt grüßen. Ballinger und Boyle flanieren zwischen Massagen und Schlammbädern durch diesen Menschenzoo, sind aber selbst Teil davon. Der Komponist hat der Welt und seiner Tochter (Rachel Weisz) den Rücken gekehrt, hängt vergangenen Zeiten nach und verweigert sich sogar einem Angebot, seinen legendären Liederzyklus „Simple Songs“ vor der Queen zu dirigieren. Der Filmemacher sehnt sich nach einem letzten Comeback und kämpft mit den letzten Seiten seines letzten Drehbuchs.

Dieses Handlungsgerippe gibt Sorrentino knapp zwei Stunden lang die Möglichkeit, sich in Betrachtungen über das Älterwerden und Jungseinwollen zu ergehen. Das fühlt sich an, als würde jemand eine Aphorismensammlung als Daumenkino missbrauchen. Es regnet pseudoprofunde Sprüche à la „Wir sind alle Statisten“, jede Figur ist ein heimlicher Guru und wartet mit Binsenweisheiten auf. Einmal heißt es, Gefühle können überbewertet sein. Später die Erkenntnis: Manchmal sind Gefühle unterbewertet!

Sonst spickt Sorrentino seine Nobelnabelschau wie gewohnt mit (bemühten) Skurrilitäten, Gags und visuellen Pointen – ein imaginiertes Kuhglockenkonzert, ein Albtraum als Musikvideo. Doch wo das Dauerfeuer der Seltsamkeiten in „La grande bellezza“ zuweilen eine paradoxe Erhabenheit erreicht hat, fügen sich die Ideenexzesse in „Youth“ nie zu einem kohärenten Ganzen, es fehlt schlichtweg an Form. Da helfen auch die ganzen Stargäste nichts: Popsängerin Paloma Faith, Sopranistin Sumi Jo und nicht zuletzt Jane Fonda, die als Exdiva das Hohelied des Fernsehens singen darf. Caine und Keitel sind Caine und Keitel, aber von Glanzleistungen kann man bei ihren Performances trotzdem nicht reden. Immerhin trauen sich beide, richtig alt auszusehen.

Positiv hervorzuheben ist die Musik von David Lang. Der Film kulminiert in der schönen Konzertaufführung eines „Simple Songs“, doch der pathetische Effekt des Stücks wirkt unverdient: „Forever Young“ von Alphaville hätte es auch getan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

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