„Ich und Earl und das Mädchen“: Den Tod beiseitelachen

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Im Independent-Film „Ich und Earl und das Mädchen“ freundet sich ein unsicherer Bub mit einem krebskranken Mädchen an. Das ist berührend und überraschend komisch.

Diese Liebesgeschichte kommt ohne Kuss aus. Nicht, dass Icherzähler Greg (Thomas Mann) nicht daran denkt, Rachel (Olivia Cooke) zu küssen, das tut er, wie er dem Zuschauer bereitwillig erzählt. Aber die Umstände sprechen dagegen: Greg wurde von seinen mitfühlenden Eltern (Connie Britton, Nick Offerman) zu dem Mädchen geschickt, um sie aufzuheitern, denn bei Rachel wurde Leukämie diagnostiziert. „Me And Earl And the Dying Girl“ heißt der Film im Original, beim deutschen Titel „Ich und Earl und das Mädchen“ wurde das „dying“, sterbend, einfach gestrichen. Greg erzählt keine „berührende romantische Geschichte“, in der die beiden „mit dem Feuer von tausend Sonnen“ herummachen, wie er fantasiert, sondern es ist die „Geschichte von meinem letzten Schuljahr und wie es mein Leben zerstört hat“.

Liebe ist in diesem wunderbaren, berührenden Film nicht körperliche Nähe, Liebe ist hier vor allem Trost – durch Humor. Der linkische, unbeholfene junge Mann mit dem „Murmeltiergesicht“ ist nämlich witzig. Wenn Greg den deutschen Regisseur Werner Herzog, den er bewundert, nachmacht, ist das zum Schreien komisch. „Niemand hat mich mehr zum Lachen gebracht“, sagt Rachel einmal zu ihm. Dabei ist Greg eigentlich sehr erfolgreich darin, Menschen von sich fernzuhalten, „unsichtbar“ zu bleiben, indem er sich zu allen gleichermaßen freundlich verhält, trotzdem stets Distanz wahrt. Das ist Gregs Abwehrstrategie gegen möglichen Herzschmerz. Er wird nicht müde zu betonen, dass Rachel „nicht meine Freundin“ ist. Selbst seinen besten Freund Earl (RJ Cyler) nennt er bloß „Arbeitskollegen“. Seit ihren Kindertagen drehen die beiden skurrile Kurzfilmhommagen. Dafür nehmen sie Titel von Filmklassikern und verändern diese auf möglichst absurde Weise. Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“ wird zu „A Sockwork Orange“, „Eyes Wide Shut“ zu „Eyes Wide Butt“. Liebevoll gestaltet von den Animatoren Edward Bursch und Nathan O. Marsh erinnern diese Clips an Filme von Michel Gondry („Vergiss mein nicht!“). Nur zu dem geplanten Film für Rachel fehlt Greg und Earl der Zugang.

Komisches Gegengewicht zur traurigen Grundgeschichte sind auch die exzentrischen Nebenfiguren. Gregs Vater, ein Soziologieprofessor, hat einen Hang zu exotischer Küche und ein inniges Verhältnis zur Katze. Gregs vielfach tätowierter, muskelbepackter Geschichtelehrer (Jon Bernthal) dient dem Teenager als moralisches Gewissen. Am normalsten wirkt noch der überlegte Earl.

Sinnsuche, Liebe und Tod

Leben und Tod – extreme Gefühle passen zum Zielpublikum: Liebe, die Suche nach Sinn und die Frage, wie man leben will, sind die gewichtigen Themen der Jugend, im Teenageralter geht es um alles oder nichts. Der kindliche Glaube, alles werde wieder gut, weicht Realismus.

Thematisch gesellt sich „Me And Earl And the Dying Girl“ zu einer Reihe ähnlicher Filme. Besonders erfolgreich war „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, in dem sich zwei krebskranke Jugendliche ineinander verlieben. Diese Gefühle sind übergroß inszeniert. Am Ende bleibt das Mädchen allein zurück – traurig und gereift. Auch „Me And Earl And the Dying Girl“ ist ein Coming-of-Age-Film, in dem sich Greg weiterentwickelt, weil Rachel – und Earl – seinen Panzer durchbrechen. Allerdings fällt er weit unsentimentaler aus. Von Kritik und Publikum wurde der zweite Langspielfilm von Regisseur Alfonso Gomez-Rejon gleichermaßen gefeiert. Beim Sundance Film Festival bekam das Independent-Drama, basierend auf dem gleichnamigen Debütroman von Jesse Andrews, der auch das Drehbuch verfasste, den Großen Preis der Jury sowie den Publikumspreis.

Am Schluss kann man, sofern die Augen trocken genug sind, ein bisschen Sentimentalität entdecken. Aber wenn man nach der Trauerfeier für eine/die Freundin nicht sentimental sein darf, wann dann?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2015)

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