„Legend“: Nach dem Mord erst einmal Tee

Frances (Emily Browning) erzählt die Geschichte der Kray-Zwillinge (Tom Hardy hier als Reggie).
Frances (Emily Browning) erzählt die Geschichte der Kray-Zwillinge (Tom Hardy hier als Reggie).(c) Constantin
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In „Legend“ spielt der britische Schauspielstar Tom Hardy die Zwillingsbrüder Ronnie und Reggie Kray, die im London der Sechzigerjahre die Unterwelt beherrscht haben. Brian Helgelands Film ist ein solider Thriller – mit dem Hardy sich Oscar-Chancen ausrechnen kann. Derzeit im Kino.

Was macht man, wenn man gerade jemanden umgebracht hat? Ronnie Kray (Tom Hardy) besucht seine Mutter im Londoner East End. Er sitzt im Lehnsessel, trinkt Tee und isst Kuchen. Er ist sich nicht bewusst, dass die Polizei ihn gleich schnappen könnte. Auch nicht, als sein Zwillingsbruder Reggie (ebenfalls Tom Hardy) auftaucht, weil er bereits Gerüchte über den Mord gehört hat. „Verbrennt seine Kleidung“, weist Reggie seine Mutter und den Liebhaber seines Bruders an. Die Spuren sollen verwischt werden. Diese Szene aus dem Thriller „Legend“ verdeutlicht das Verhältnis zwischen den Brüdern: Ronnie ist psychisch instabil und gewalttätig. Er ist der „Ein-Mann-Mob“ des Duos. Reggie agiert rationaler – und weiß sich zu präsentieren. In seinem Nachtclub feiert Londons High Society neben Gangstern. Zusammen sind die beiden Größen der Unterwelt.

„Legend“ basiert auf wahren Figuren. Hierzulande kaum bekannt, gehören Ronnie und Reggie Kray in Großbritannien zu den mythischen Figuren der Swinging Sixties. Im armen Arbeiterviertel East End 1933 geboren, wuchsen die Krays in einer Arbeiterfamilie auf und wurden Boxer. Mit Schutzgelderpressung begann ihre kriminelle Karriere, die ihren Höhepunkt in den Sechzigerjahren erlebte. „Das waren die besten Jahre unseres Lebens“, schrieb Ronnie Kray später im Gefängnis in seiner Autobiografie „My Story“. „Die Beatles und die Rolling Stones waren die Herrscher der Popmusik, Carnaby Street beherrschte die Modewelt, und ich und mein Bruder herrschten über London. Wir waren unantastbar.“

Brian Helgelands Thriller basiert nicht auf den Aufzeichnungen Krays, sondern auf „The Profession of Violence: The Rise and Fall of the Kray Twins“ von John Pearson. Erzählt wird die Geschichte im Film wiederum von Reggies Freundin und späterer Frau, Frances Shea (Emily Browning), der dritten Hauptfigur des Films. Im Zentrum stehen aber die Brüder, kongenial gespielt von Tom Hardy. Er profitiert von der Doppelrolle: So exaltiert und unberechenbar er sich als Ronnie gibt, so ruhig und beherrscht ist er als Reggie.

Durch das Zwillingsmotiv gesellt sich „Legend“ zu der Vielzahl an Geschichten über gute und böse Zwillinge in der Popkultur. Eine geniale Variation dieses Themas hat Regisseur David Cronenberg im Film „Die Unzertrennlichen“ (1988), der lose auf einer wahren Geschichte basiert. Jeremy Irons verkörperte darin psychisch voneinander abhängige Zwillingsbrüder, die zum Äußersten gehen, um das Phantasma der vollkommenen Verbundenheit zu erfüllen.

Zu viel Thriller, zu wenig Ringen

Die Intensität von „Die Unzertrennlichen“ erreicht „Legend“ nicht. Denn der Film konzentriert sich zu stark auf den „Aufstieg und Fall zweier berüchtigter Brüder“, wie es im Untertitel heißt, und zu wenig auf das fortwährende Ringen miteinander – um Freiheit wie um Nähe. An der darstellerischen Leistung liegt der Mangel nicht. Hardy darf sich Chancen auf eine der Nominierungen für den Oscar (die heute bekannt gegeben werden) ausrechnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2016)

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