„The Forest“: Diese Bäume beunruhigen nicht

(C) Gramercy Pictures
  • Drucken

Eine Frau sucht im japanischen Aokigahara-Wald, einem beliebten Ort für Selbstmörder, ihre Schwester. Die unausgegorene Melange aus übernatürlichem Thriller und drastischem Schock-Fest überzeugt nicht.

Im Wald wohnt die Ewigkeit. Jedenfalls im Kino. Wo das Meer andauernde Veränderung und die Wüste Lebensfeindlichkeit bedeutet, häufen sich zwischen den Bäumen, im Unterholz sichtbar, riechbar, fühlbar, Schichten von Verlebtem an, aus dem dann etwas Neues wachsen kann.

Der Urort Wald war in Legende und Folklore immer schon Spielwiese von Wesen, die sich wenig um den irdischen Zeitenlauf scheren. Filme zeigen den Wald als Refugium, als Hort des Primitiven und Ephemeren, der äußerst durchlässig ist für das Fantastische, das Undenkbare, das Schreckliche. Insofern hält „The Forest“ viele Versprechungen bereit. Regiedebütant Jason Zada erzählt von einer jungen Amerikanerin (die aus „Game of Thrones“ bekannte Natalie Dormer), die nach Japan reist, um ihre verschwundene Zwillingsschwester zu finden. Die von psychischen Problemen geplagte Frau soll in den Aokigahara-Wald am Fuß des Fuji-Bergs gegangen sein. Das Areal ist als populärer Ort für Selbstmörder berüchtigt: Allein im Jahr 2003 haben dort 105 Menschen ihrem Leben ein Ende gesetzt; die Leichen werden einmal pro Jahr von der örtlichen Polizei und freiwilligen Helfern aus dem Wald getragen.

Die perfekte Ausgangssituation für einen Horrorthriller, möchte man meinen. Aber es dauert nicht lange, bis sich das anfangs noch angenehm geradlinige Drehbuch in seinen eigenen Verästelungen verhängt. Das muss man auf die Unerfahrenheit des Regisseurs zurückführen, der von der Werbe- in die Filmindustrie gewechselt ist. Sogar Gus van Sant verstand in seinem ansonst missglückten Aokigahara-Melodram „The Sea of Trees“ den Bäumen, den Schattenwürfen, dem Ausbleiben von Sonnenlicht eine zwischenweltliche Färbung zu geben.

Plötzlich schreckt die Moderleiche

In „The Forest“ hingegen liegt der Wald bedeutungslos vor einem: Zada beseelt ihn nicht, er zeigt ihn bloß. Zuschaueremotionen ruft er lieber mit Schreckmomenten ab, etwa wenn plötzlich eine Moderleiche hinter einem Baum hervorbaumelt. Die Landschaft hat ebenso wenig Struktur wie die Handlung: Mit einem australischen Reisejournalisten verbringt die Protagonistin eine Nacht im verfluchten Wald, hört Schreie, die durch die Nacht gellen. Im Dunkel trifft sie auf ein japanisches Mädchen in Schuluniform, das sie vor ihrem Begleiter warnt, insinuiert, dass er mit dem Verschwinden der Schwester zu tun haben könnte. Es folgen Paranoiaschübe und Geistererscheinungen, bis am Ende aufgeklärt wird, was der Zuschauer längst weiß.

Regisseur Zada hingegen weiß nicht viel, vor allem nicht, wie man jene beunruhigende, somnambule Atmosphäre errichtet, die so notwendig wäre für das Funktionieren dieses Stoffs. Immerhin: Die junge Natalie Dormer stemmt die Herausforderung einer Doppelrolle ganz gut, auch wenn sie die Schwestern mit zu grellen Manierismen voneinander abzuheben versucht.

Yūrei nennt man in der japanischen Kultur Erscheinungen von Verstorbenen, die hierzulande als Geister bekannt sind. In „Journey to the Shore“ (2015) erzählt der visionäre Fantast Kiyoshi Kurosawa von einer Amour fou zwischen einem Geist und seiner (verwitweten) Frau: Im Wald klafft eine Wunde zwischen dem Dies- und dem Jenseits, die zum erlösenden Portal für die festhängenden Yūrei wird. Ein stiller, leiser, weiser Film, der dennoch so viel mehr nachhallt, verstört, verzaubert als das triviale, hässliche Gedöns dieser amerikanischen Produktion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.