„The Lobster“: Treibjagd auf Singles und die freie Liebe

(c) Picturehouse/ Despina Spyrou
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Der Film imaginiert eine Zukunft, in der Paarsein Pflicht ist und Alleinsein verfolgt wird: Eine sehenswerte, surreal-skurrile Parabel von den griechischen Buñuel-Erben Giorgos Lanthimos und Efthimis Filippou.

Wenn Sie ein Tier sein könnten, welches würden Sie wählen? Überlegen Sie sich's gut! Vielleicht wird die Weltordnung, die der griechische Regisseur Giorgos Lanthimos in seinem Film „The Lobster“ imaginiert, irgendwann Wirklichkeit: Menschen ohne Partner werden darin in ein abgelegenes Hotel verfrachtet, wo sie 45 Tage Zeit haben, Beziehungen zu knüpfen. Schaffen sie es nicht, transformiert man sie zu Tieren ihrer Wahl. Die meisten suchen sich ein Fortbestehen im Hundekörper aus – daher ist die Welt voller Hunde.

Das bizarre Szenario ist typisch für Lanthimos und seinen Koautor Efthimis Filippou. Sie sind moderne Erben von Luis Buñuel, besonders dessen Spätwerk: Durch mehr oder weniger subtile Verfremdungen und Abstrahierungen sozialer Gegebenheiten erschaffen sie surreale Parabeln voller skurriler Details, die irgendwo zwischen schwarzer Komödie und anthropologischer Studie angesiedelt sind. Ihre Durchbruchsarbeit „Dogtooth“ handelt von einer bürgerlichen Familie, die ihre erwachsenen Kinder zu Hause einbunkert und per Nonsens-Indoktrinierung (Katzen sind gefährliche Killerwesen, Flugzeuge haben Spielzeuggröße) über die wahren Verhältnisse der Außenwelt im Dunkeln lässt – Systemkritik in Form eines absurden Kammerspiels. Im kryptischen Nachfolger „Alps“ bietet ein mysteriöser Verein Angehörigen Verstorbener an, seine Mitglieder als Stellvertreter der geliebten Menschen anzumieten.

Lanthimos, Filippou und ihre Landsfrau Athina Rachel Tsangari („Attenberg“) brachten frischen Wind in eine europäische Kinolandschaft, der das Gespür für Sonderbares sukzessive abhandengekommen war. Sie fanden mit ihren Visionen aber auch in Übersee Anklang: „Dogtooth“ wurde 2011 überraschend für den Oscar nominiert, und renommierte Schauspieler bekundeten ihr Interesse an einer Zusammenarbeit. „The Lobster“ ist als erstes englischsprachiges Projekt der „Neuen griechischen Welle“ eine Frucht dieser Anerkennung und zugleich der Beleg, dass ihr spezieller Stil sich ohne Weiteres auf ein anderes Idiom übertragen lässt.

Beziehungsverweigerer werden betäubt

Der Film folgt dem Mittdreißiger David (ein pummeliger Colin Farrell mit Schnauzbärtchen und Hundeblick), der nach der Trennung von seiner Frau ins eingangs erwähnte Partnerbörsen-Hotelgefängnis deportiert wird. Die Verhaltenskodizes und Rituale dieser seltsam sterilen Parallelwelt erschließen sich dem Zuschauer Stück für Stück mit unheimlicher Selbstverständlichkeit. Weibliche Angestellte reiben regelmäßig ihren Hintern am Schritt männlicher Gäste, um deren Motivation zu steigern. Nur: Wer beim Masturbieren erwischt wird, muss seine Hand in einen Toaster stecken. Zur sportlichen Betätigung fährt man in den Wald, wo sogenannte „Loner“ – vogelfreie Beziehungsverweigerer – sich versteckt halten, und macht mit Betäubungsgewehren Jagd auf sie, wobei jeder Wildfang die persönliche Gnadenfrist erhöht. Nachdem Davids Versuch, mit einer völlig gefühllosen Dame anzubandeln, kolossal scheitert, flüchtet er selbst zu den Geächteten ins Dickicht, die ihn bereitwillig bei sich aufnehmen. Doch schnell ist klar, dass ihre Lebensführung nicht minder strengen Dogmen und Ahndungen unterliegt, besonders, wenn es um das Tabu der Liebe geht.

Die Filmemacher bedienen sich diverser ästhetischer Mittel, um ihren verqueren Weltentwurf in der Schräge zu halten. Windschiefe Streichquartette von Schnittke, Strawinsky und Schostakowitsch füllen die Atmosphäre mit unbehaglichen Schwingungen, während Thimios Bakatakis' klarsichtig-kühle Digitalkameraarbeit den prosaischen Kulissen (gedreht wurde in Irland) über clevere Kadrierung und Farbdramaturgie eine dystopische Anmutung verleiht – vergleichbar mit der langen Autofahrt durch Tokio, die Andrei Tarkowski in seinem Sci-Fi-Klassiker „Solaris“ als Zukunftstour verkaufte. Dem Schauspiel – neben Farrell, der mit präzisem komischem Timing punktet, sind John C. Reilly, Rachel Weisz, Ben Whishaw und Léa Seydoux in kleineren Rollen zu sehen – haftet über weite Strecken eine befremdliche, krampfige Sachlichkeit an, und auch der periodische Einsatz von Zeitlupen widerstrebt den Konventionen des Effekts.

Kinder als verordneter Beziehungskitt

Manchmal ist „The Lobster“ allerdings zu deutlich und direkt in der Metaphorik und die Allegorie sozialer Bedingungen von Liebe und Einsamkeit droht zum platten Witz zu verkommen (exemplarisch dafür ist eine Regelung des Hotels, die angehenden Paaren mit Startschwierigkeiten Kinder als Beziehungskitt zuweist). Hat man die Symbolismen des Drehbuchs entschlüsselt, bleibt nicht allzu viel übrig, „Dogtooth“ und „Alps“ waren wesentlich enigmatischer. Trotzdem eignet der zentralen Liebesgeschichte etwas Rührendes, weil sie romantische Klischees bedient und gleichzeitig auf die Schippe nimmt: ein sehenswertes Kunststück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2016)

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