Vinterberg: „Der Sommer der Liebe ist vorbei“

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Thomas Vinterberg lässt in „Die Kommune“ persönliche Erfahrungen mit einfließen. Der „Presse“ erklärte er, warum er Schauspieler anschrie und warum er das Kommunenleben empfehlen kann.

Seit seinem Dogma-95-Durchbruchswerk „Das Fest“ ist der dänische Autorenfilmer Thomas Vinterberg bekannt für Arbeiten über instabile Familiengefüge. In seinem jüngsten Film „Die Kommune“ greift er persönliche Erlebnisse aus seinen Jugendtagen auf und beleuchtet soziale Experimente der Siebziger abseits gängiger Klischees. Der Architekt Erik (Ulrich Thomsen) erbt eine ansehnliche Villa in einer Nobelgegend Kopenhagens. Beseelt vom Geist der Zeit zieht er mit seiner Frau Anna (Trine Dyrholm) und der gemeinsamen Tochter Freja (Martha Sofie Wallstrøm Hansen) auf das Anwesen und gründet dort eine Wohngemeinschaft, um die Kosten tragen zu können.

Zunächst überwiegt das Befreiungsgefühl zwischen basisdemokratischen Abstimmungen und abendlichen Festlichkeiten, doch langsam merkt das Paar, dass sich ihre bürgerlichen Ideale schwerer abschütteln lassen als anfangs gedacht. „Die Kommune“ besticht vor allem als Schauspielerkino – Trine Dyrholm erhielt für ihre Darstellung einer überforderten Ehefrau den Silbernen Bären bei der diesjährigen Berlinale.


Die Presse: Können Sie etwas über den Ursprung Ihres neuen Films erzählen?

Thomas Vinterberg: Um mich herum wurden alle immer sehr neugierig, wenn sie hörten, dass ich in einer Kommune aufgewachsen bin. Menschen haben alle möglichen Fantasien in Bezug auf das, was in so einer Gemeinschaft passiert. Einer dieser neugierigen Menschen war Matthias Hartmann: Er bot mir an, mein dramatisches Material am Akademietheater in Wien auszutesten. Er sagte: „Du bekommst die besten Schauspieler der Welt, sie werden mit dir improvisieren und dir helfen.“ Er hielt sein Versprechen: Die Schauspieler waren fantastisch! Ich schrieb etwas, wir improvisierten, dann passte ich den Text an – so entstand das Stück. Die Uraufführung war eine wunderbare Erfahrung. Die Zuschauer lachten, weinten, waren emotional involviert – da entschied ich mich, die Geschichte auf die Leinwand zu bringen.

Wie hat Ihre Erfahrung mit Theaterschauspielern die Dreharbeiten beeinflusst?

Bei Theaterschauspielern spielt Körperlichkeit eine große Rolle. Man muss sie nicht mit Samthandschuhen anfassen, kann sie auch ein wenig herumschubsen. Filmschauspielern muss man die großen Momente eher mit Feingefühl entlocken. Aber es gibt auch einen Unterschied zwischen deutschen und dänischen Schauspielern. Wir Dänen sind höflich – zu höflich. Bei den Proben in Wien gab es Phasen, da hörte mir niemand mehr zu, die Kommune machte einfach, was sie wollte. Mein Assistent sagte zu mir: „Thomas, ich glaube, du bist zu nett zu ihnen!“ Also schrie ich sie an, das gefiel ihnen.


Was halten Sie heute von der Kommunen-idee?

Ich kann es nur weiterempfehlen! Ich habe es geliebt. Manchmal war es auch schmerzhaft – wie man im Film sehen kann. Heutzutage leben sehr viele Menschen allein und beschweren sich über Einsamkeit, darüber, dass sie keinen Sex haben und ein zu karriereorientiertes Leben führen. Es würde den Leuten nicht schaden, ein wenig loszulassen, zusammenzuziehen, miteinander zu schlafen und Bier zu trinken.

In den Siebzigern waren Kommunen fast schon normal, inzwischen sind sie eher eine Ausnahme. Warum?

Damals ließen sich die Menschen auf fast naive Weise auf diese Experimente ein, im Zeichen der Revolte gegen das patriarchale System der Kernfamilie. Es fühlte sich sexy an, wie eine Luxusklassen-Rebellion, gemeinsam konnte man sich schöne, große Häuser leisten. Heute ziehen die Leute eher aus praktischen Gründen zusammen.

Sehen Sie Kommunen nicht kritischer? Es gab viele Fälle von Missbrauch: In Österreich weckt die Otto-Mühl-Kommune negative Assoziationen.

Kommunen sind wie Familien, es gibt gute und schlechte. Die Otto-Mühl-Kommune ist sehr, sehr weit entfernt von allem, was ich je gesehen und erlebt habe. Ich glaube, dass Kinder auch in einer Kernfamilie unter Mühl gelitten hätten. Es gab Arschlöcher in den Kommunen, aber Arschlöcher gibt es überall. Damit will ich nicht verleugnen, dass es Probleme gab. Ich habe mitbekommen, wie Kinder vernachlässigt wurden, weil man sie wie Erwachsene behandelte – aber der Grundgedanke war Respekt vor jedem Menschen.

„Die Kommune“ erzählt von einer Frau, die mit dieser kommunalen Freiheitsidee nicht zurechtkommt.

Anna ist bereit, alles für die Gemeinschaft zu tun – sie setzt sogar ihre geistige Gesundheit aufs Spiel. Wir wollten das Verhältnis zwischen Individuum und Gruppe thematisieren, und diese Figur bot uns die Möglichkeit dazu. Die Herausforderung war, sie nicht zum Opfer zu machen.

Die Geschlechterfrage spielt im Film eine große Rolle.

Die ganze Gender-Debatte erscheint mir äußerst langweilig. Ich glaube, dass viele Männer und Frauen daraus unverdientes Kapital schlagen. Uns ging es um andere Fragen: Wie ist es, ein Kind zu verlieren, eine Ehe? Wie sieht das Beziehungsleben in einer Kommune aus? Annas Mann Erik repräsentiert eine Reihe typisch männlicher Eigenschaften: Selbstfixiertheit, Hysterie – aber ebenso brutale Ehrlichkeit, die ich in manchen Fällen für eine Tugend halte. Am Ende wird er zum Patriarchen, obwohl er das vermeiden wollte.

Wie haben Sie allgemein mit den Schauspielern gearbeitet? Haben Sie versucht, eine kommunale Stimmung herzustellen?

Am Ende haben wir sogar zwei, drei Tage zusammen gewohnt. Ein magischer Moment war ein dreistündiges Abendessen, bei dem alle in ihrer Rolle geblieben sind – da fühlte ich mich wie in einer richtigen Kommune.

Der kleine Junge, der am Ende stirbt, war im Theaterstück noch nicht Teil der Handlung. Warum haben Sie diesen Aspekt hinzugefügt?

Wir wollten zeigen, dass diese Gruppe von Menschen alles überstehen kann, wenn sie zusammenhält. Trotz der Tragödie sind sie am Ende fähig zu lächeln. Es ging uns auch um Unschuldsverlust. Der Sommer der Liebe ist vorbei. Aber auch die darauffolgende Ära hat ihre Verdienste: individuelle Freiheit und das Recht auf Privatsphäre.

ZUR PERSON

Thomas Vinterberg, 1969 in Frederiksberg (Dänemark) geboren, begründete mit Lars von Trier u.a. die Bewegung Dogma 95. Für den ersten Dogma-Film „Das Fest“ schrieb er das Drehbuch und führte Regie. Jüngste Filme: „Die Jagd“ und „Am grünen Rand der Welt“. Das Theaterstück „Die Kommune“ hatte 2011 im Akademietheater Premiere, auf ihm beruht der neue Film. [ AFP ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2016)

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