„A War“: Schuldig werden in Afghanistan

Krigen / A War
Krigen / A WarStudiocanal
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Im Film „A War“ muss ein dänischer Kommandant vors Kriegsgericht. Der kluge Film fragt nach dem Umgang mit Recht und Moral im Ausnahmezustand.

Der Krieg in Afghanistan gilt weitgehend als US-amerikanische Angelegenheit. Die Beteiligung europäischer Streitkräfte an der „Operation für anhaltenden Frieden“ (so die offizielle Bezeichnung des 13-jährigen, multinationalen Einsatzes im südasiatischen Land) wird selten thematisiert – auch im Kino. Umso mehr erfreut ein intelligenter Spielfilm wie der für den Auslands-Oscar nominierte„A War“von Tobias Lindholm (mit dem Originaltitel „Krigen“), der sich dänischen Truppen in Afghanistan widmet. Trotz des schlichten Titels ist er weniger an Kampfhandlungen interessiert als an komplexen Problematiken menschlicher, moralischer und juristischer Natur.

Im Mittelpunkt steht der Kommandant Claus Michael Pedersen (überzeugend gespielt von „Borgen“- und „Game of Thrones“-Star Pilou Asbæk), der eine Kompanie in der südlichen Helmand-Provinz befehligt. Pedersen nimmt seine Mission sehr ernst: Die Landbevölkerung soll vor den Taliban beschützt, ihr Vertrauen gewonnen werden. Gleich zu Beginn aber fällt eine schwere Last auf sein Gewissen: Bei einer Routinepatrouille steigt einer seiner Männer auf eine Mine und verblutet, bevor Hilfe eintreffen kann.

In einem erratischen Wüstenkrieg sind derartige Fälle keine Alltäglichkeit, die Truppe ist schwer mitgenommen. Einer von ihnen, Lasse (Dulfi Al-Jabouri), fühlt sich verantwortlich und bricht vor Pedersen in Rotz und Tränen aus, der ihm daraufhin eine Auszeit gewährt – eine frühe Schlüsselszene, die klar etabliert, dass man es hier nicht mit Kampfmaschinen, sondern mit zerbrechlichen Seelen zu tun hat. Periodisch wechselt die Perspektive nach Dänemark, wo Pedersens Frau, Maria (Tuva Novotny), sich allein um den gemeinsamen Sohn kümmert. Überdies bringt die Ästhetik, deren nüchterne Handkameraführung sich an der US-Kriegsdoku „Restrepo“ orientiert, den Zuschauer auf Augenhöhe mit den Protagonisten. Überhaupt legt Lindholm Wert auf größtmögliche Authentizität, viele Nebenfiguren sind mit echten Veteranen besetzt. Die Erzählung verläuft fast schon protokollarisch und völlig frei von forcierter Melodramatik. Kein Wunder, dass „Zero Dark Thirty“-Regisseurin Kathryn Bigelow ein Fan von „Krigen“ ist.

Fehlentscheidung im Eifer des Gefechts

Der entscheidende Wendepunkt des gemessen getakteten Films kommt – überraschend – auf halber Strecke, wobei der lange Vorlauf den Blick darauf entschieden verkompliziert. Ein afghanischer Familienvater sucht Zuflucht vor den Taliban im dänischen Hauptquartier. Pedersen ist wohlwollend, folgt aber den Vorschriften und schickt ihn zurück ins Dorf. Am nächsten Tag sehen die Soldaten nach dem Rechten und geraten in einen Hinterhalt, Lasse wird schwer verwundet. Der Kommandant will keine Toten mehr in seinen Reihen, er beordert im Eifer des Gefechts einen Luftangriff, ohne den Standort der feindlichen Schützen präzise zu lokalisieren. Lasse überlebt, doch Pedersen muss in Dänemark vors Kriegsgericht – im Bombenhagel starben Zivilisten, auch Frauen und Kinder.

Wie schon Lindholms letzte Regiearbeit, das Hochsee-Entführungsdrama „Kapringen“, wirft „Krigen“ mehr Fragen auf, als er beantwortet. Im Grunde ist der Film eine einzige Fragestellung ans Publikum, die während der Gerichtsverhandlung klar artikuliert wird: Wie geht man um mit Schuld im Ausnahmezustand, lässt sie sich relativieren? Pedersen müsste lügen, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen – wenn er ehrlich ist, kann er die Haft seiner Familie zumuten? Das Dilemma zwischen privater und gesellschaftlicher Verantwortung bietet keine einfachen Lösungen, aufgrund des empathischen Blicks der Erzählung ist jeder Standpunkt nachvollziehbar, und Lindholm behält sein Urteil für sich. Freilich: In gewisser Hinsicht beinhalten auch kalkulierte Ambivalenzen ein Urteil, nämlich jenes, dass Recht und Moral im tödlichen Dunst des Krieges zwangsläufig verschwimmen müssen – und es folglich besser wäre, nicht in den Krieg zu ziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2016)

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