"Chevalier": Männerkampf auf hoher See

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Chevalier(c) Stadtkino Filmverleih
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Am Ende steht eine ungelenke Blutsbrüderschaft: „Chevalier“, eine absurde Komödie aus Griechenland, zeigt Männer, die immer im Wettbewerb sind. Ab Freitag im Kino.

Wer ist „der Beste im Allgemeinen“? Eine unbeantwortbare Frage – möchte man meinen. Doch wenn Männer unter sich sind, steht sie unweigerlich im Raum. Besonders, wenn dieser Raum eng ist und die Egos keinen Auslauf haben. Genau das ist der Fall in Athina Rachel Tsangaris absurder Komödie „Chevalier“. Diese schickt sechs Bekannte in den besten Jahren auf Fischfang mit der Luxusjacht. Ein isolierter Traumurlaub auf dem Ägäischen Meer für den altehrwürdigen Arzt und Bootsbesitzer, den alle nur den „Doktor“ nennen, seinen Schwiegersohn Yannis, dessen pummeligen, etwas kindischen Bruder Dimitris, die Geschäftspartner Josef und Yorgos sowie Christos, den gut aussehenden Freund und Vertrauten des Doktors (gespielt vom griechischen Popstar Sakis Rouvas).

Die Anfangsszene suggeriert eine eingeschworene, archaische Gemeinschaft. Nach einem gemeinsamen Tauchgang entsteigen die Männer wie Urzeitfische dem Wasser und ziehen sich gegenseitig ihre Neoprenanzüge vom Leib: ein ebenso banaler wie intimer Akt. Doch schon kurz darauf wird klar, dass hier unterschwellig Konkurrenzen toben: Jeder brüstet sich ganz beiläufig mit seinem Brachsenfang. Als sich die Heimreise nach Athen verzögert, konzipiert die Gruppe – aus Langeweile, wie es scheint – ein Spiel, das ermitteln soll, wer nun wirklich die Nase vorn hat, und zwar in jeder Hinsicht. Von der Schlafhaltung über die Blutwerte, vom Steinehüpfen bis hin zur Penislänge soll alles auf die Waagschale gelegt und nach einem strengen Punktesystem beurteilt werden. Auf den Sieger dieses peniblen Ritterturniers wartet ein symbolischer Siegelring, der titelgebende „Chevalier“.

Die Grundprämisse von Tsangaris sonderbarer Filmperle klingt fast wie der Aufhänger einer zweitklassigen Reality-Gameshow – zumal auch hier ein absurder Wettbewerb den Handlungsmotor bildet. Doch diese Studie männlicher Gruppendynamiken und Machtkämpfe ist ungleich subtiler (und skurriler), als sein Konzept vermuten lässt. Die griechische Filmemacherin bleibt in ihrem Zugang den verschrobenen Parabeln treu, die sie und ihren Landsmann Giorgos Lanthimos („The Lobster“) bekannt gemacht haben.

Zwischen Realismus und Groteske

Das Leinwandgeschehen ist stets vertraut und befremdlich zugleich, die Ästhetik leicht distanziert, das Schauspiel auf der Schwelle zwischen Realismus und Groteske. Soziale Interaktionen werden zu bizarren Ritualen verfremdet, in denen man sich lachend selbst erkennt. Den Insektenforscherblick auf das merkwürdige Verhalten neurotischer Männer auf hoher See konterkariert Tsangari mit einer ausgeprägten Empathie für ihre typenhaften Figuren, deren Versuche, sich zu übertrumpfen, ironischerweise erst ihre Unsicherheit und Zerbrechlichkeit nach außen kehren.

Die altersbedingte Autorität des Doktors etwa wird angekratzt, weil er beim kompetitiven Zusammenschrauben von Ikea-Regalen auf der Strecke bleibt. Josef ringt indes – welch Schmach – mit Potenzproblemen. Nachts klopft er beduselt an die Kajütentüren seiner Kameraden und fordert sie dazu auf, seine hart erarbeitete Erektion zu bestaunen: bei aller Jämmerlichkeit ein rührendes Sinnbild für die Sehnsucht nach Bestätigung. Saubermann Christos hat zunächst die Favoritenrolle inne, doch als ihm der höchste Cholesterinspiegel attestiert wird, zerbricht sein Selbstbewusstsein. Verzweifelt steht er allein vor dem Spiegel – von denen es an Bord verblüffend viele gibt – und skandiert ein erbauliches Mantra: „Ich bin der Beste! Meine Schenkel sind nicht fett!“

Man kann „Chevalier“ gut als Satire auf den Optimierungsdruck verstehen, der im Zeitalter von Social Media auch vor Privatsachen nicht Halt macht. Im zeitgenössischen Sozialpanoptikum ist jeder Richter seines Nächsten, Imagepflege wird überlebensnotwendig. Doch die Deutungshoheit bleibt im Unklaren: So sehr die Männer einander zu überflügeln trachten, so sehr fürchten sie sich davor, den anderen zu vergrämen. Man umschmeichelt sich fast so viel, wie man sich anklagt, auf jeden Streit folgt eine Versöhnung. Am Ende steht sogar eine ungelenke Blutsbrüderschaft. Und, soviel darf verraten werden, ein klarer Sieger steht letztlich fest. Dafür wandert das Spiel weiter von den Yachturlaubern zum Schiffspersonal – wie ein Virus, das nicht totzukriegen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2016)

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