„Remember“: Ein Greis geht in Amerika auf Nazi-Jagd

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In Atom Egoyans Film „Remember“ glänzt vor allem Christopher Plummer als Auschwitz-Überlebender.

Niemals vergessen: Das ist eine Kerndevise des Antifaschismus. Doch was ist, wenn man der Einzige ist, der sich an das Gesicht eines Menschen erinnern kann, der die Verantwortung für namenlose Verbrechen trägt? Und wenn mit dem eigenen Gedächtnis auch die Hoffnung auf Gerechtigkeit für immer zu verschwinden droht? Wird rechtzeitige Vergeltung dann zur heiligen Pflicht?

Um diese Fragen kreist „Remember“, das neue Werk des kanadischen Autorenfilmers Atom Egoyan, der in den 1990er-Jahren mit verkopft-mysteriösen Dramen wie „Exotica“ für Aufsehen sorgte. Schauspielveteran Christopher Plummer („The Sound of Music“) gibt darin den 90-jährigen Auschwitz-Überlebenden Zev Guttman, der kurz davor ist, im US-Altersheim seiner Demenzkrankheit zu erliegen. Sein nicht minder gebrechlicher Freund Max (Martin Landau) hat dennoch einen Auftrag für ihn: Ein ehemaliger SS-Offizier, der die Familien der beiden auf dem Gewissen hat, soll sich unter falschem Namen irgendwo in Nordamerika zur Ruhe gesetzt haben, und Zev ist der Einzige, der ihn ausfindig machen kann. Also nimmt der Greis Reißaus, kauft sich eine Glock und geht auf Nazi-Jagd – mit zittriger Hand und einem Brief seines Freundes als Erinnerungsstütze.

Erst verfolgt er falsche Fährten

Ein Pflegefall auf Rachefeldzug – das wirkt schnell lächerlich, wie in „Harry Brown“, in dem Michael Caine als Rambo-Rentner die Londoner Unterwelt unsicher macht. Doch Egoyan verzichtet auf Überzeichnung, Zev ist und bleibt ein alter Mann, dem Heroismus ganz und gar nicht steht. Diese Rolle ist mit Plummer ideal besetzt: Sein großväterlicher Habitus hält die Absurdität der Vendetta stets präsent, verleiht der Figur in ihrer permanenten Unsicherheit aber auch emotionale Tiefe – wie in Christopher Nolans Amnesiekrimi „Memento“ muss er sich seiner Mission stets aufs Neue vergewissern, das Trauma stündlich aktualisieren. Zunächst verfolgt er falsche Fährten, landet im Haus eines Nazi-Nachfahren, der ihn für einen Gleichgesinnten hält: ein skurriles Spannungsstück, das mit einem glaubhaft ungelenken Gewaltakt endet.

Zevs Odyssee führt ihn schließlich an den Lake Tahoe, wo er sich seiner Vergangenheit endgültig stellen muss. Der Film schließt mit einem überraschenden Wendepunkt, der einen zwingt, die Handlung neu zu evaluieren – aber bei aller Pointiertheit kommt dieser Showdown-Twist ausgesprochen melodramatisch und hanebüchen daher. Alles wird auf einen Drehbucheinfall reduziert, der sich für eine Kurzgeschichte besser geeignet hätte als fürs Kino – oder für eine TV-Arbeit: Egoyans pragmatische 08/15-Ästhetik lässt ohnehin an Fernsehen denken. So ist es am Ende vor allem Plummer zu verdanken, dass man „Remember“ nicht als reinen Konzeptfilm zu den Akten legt.

Ab Freitag im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2016)

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