„The Nice Guys“: Sehnsucht nach der dreckigen alten Zeit

Ihre Ermittlungen führen das ungleiche Duo (Russell Crowe und Ryan Gosling) in Los Angeles auch in die boomende Pornofilmbranche.
Ihre Ermittlungen führen das ungleiche Duo (Russell Crowe und Ryan Gosling) in Los Angeles auch in die boomende Pornofilmbranche.Constantin Film
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In „The Nice Guys“ suchen Russell Crowe und Ryan Gosling in den Siebzigern ein verschwundenes Mädchen. Die Buddy-Komödie lebt von den beiden Hauptdarstellern – und der Freiheit vom Diktat der Political Correctness.

Man kann Holland March (Ryan Gosling) nicht vorwerfen, ein völlig verantwortungsloser Vater zu sein, höchstens ein ziemlich verantwortungsloser. Der Privatdetektiv aus der Komödie „The Nice Guys“ neigt dem Alkohol zu. Wenn es sich vermeiden lässt, fährt er darum nicht selbst mit dem Auto. Das ist vernünftig. Weniger vernünftig: Statt seiner sitzt oft seine 13-jährige Tochter Holly (Angourie Rice) hinter dem Steuer. Als wäre es die größte Selbstverständlichkeit, chauffiert das Mädchen seinen Vater durch die Straßen von Los Angeles. Die Polizei hält sie nicht auf. Vielleicht war das Fahren ohne Lizenz damals tatsächlich ein Kavaliersdelikt, denn der Film spielt im Jahr 1977. Holland March sucht darin ein verschwundenes Mädchen namens Amelia. Weil diese sich nicht finden lassen will, hat sie ihrerseits Jackson Healy (Russell Crowe) beauftragt, ihr den lästigen Schnüffler vom Leib zu halten. Healy ist eine Art Security-Dienstleister, der nicht in den Gelben Seiten steht. Kurz: ein Schläger gegen Bezahlung. So muss March bald mit einer Spiralfraktur im rechten Arm ins Krankenhaus.

Kein guter Start für das Duo, das bald zusammenarbeiten muss. Denn zwei brutale Gangster suchen Amelia (Margaret Qualley) ebenfalls. Healy möchte sie mithilfe von March finden, bevor es die „bösen Kerle“ tun. Er zählt eben zu den „nice guys“, den netten Kerlen, wie es im Filmtitel heißt. Die Spur des Mädchens führt die ungleichen Partner in das boomende Pornobusiness und in die wankende Autobranche, oft begleitet von der pubertierenden Holly. Tollpatschig und häufig beduselt geraten sie von einer brenzligen Situation in die nächste. Bald ist ihnen ein Auftragskiller (Matt Bomer) auf den Fersen. Immerhin: Das fördert die Bindung zwischen den beiden.

Ungleiche Männer werden Freunde

„The Nice Guys“ ist ein typisches Buddy-Movie in historischem Setting. Die Kombination aus Männerfreundschaft, Actionkrimi und Komödie ist seit „Lethal Weapon“ (1987) populär, in dem Mel Gibson und Danny Glover das zusammengewürfelte Paar bildeten. Der Drehbuchautor des Kultfilms, Shane Black, griff das Konzept mit seinem Regiedebüt „Kiss Kiss, Bang Bang“ (2005) erneut auf – und führt es nun mit seiner vierten Regiearbeit, „The Nice Guys“, weiter. Black inszeniert auch Blockbuster, er führte beim dritten „Iron Man“-Film Regie, demnächst wird er die Comicverfilmung „Doc Savage“ auf die Leinwand bringen. Für „The Nice Guys“ ließ er sich von weniger bombastischen Filmen inspirieren. Diese Einflüsse sind in der insgesamt harmonischen Komödie spürbar. Sie nimmt Anleihen an dem Coen-Klassiker „The Big Lebowski“ (1998), in dem die Odyssee der Titelfigur ebenfalls durch L. A. führte, und an Paul Thomas Andersons neongreller Thomas-Pynchon-Verfilmung „Inherent Vice“ (2014). Diese persiflierte ihrerseits Film-noir-Krimis der Vierziger und Fünfziger: Kaputte Typen ermitteln im Auftrag von ruchlosen Frauen in aussichtslosen Fällen.

Eine Femme fatale gibt es in „The Nice Guys“ ebenfalls: Kim Basinger spielt Amelias Mutter, die ihre eigenen Interessen verfolgt. Trotz der abgehalfterten Hauptfiguren und ihrer pessimistischen Weltsicht ist der Film aber nicht zynisch wie ein Noir-Krimi, sondern setzt auf Dialogwitz und die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern. Frauenschwarm Gosling torkelt durch den Film und trifft jede Pointe zielgenau, Crowes Brummbär ist unter seiner Schale butterweich. Dass die Grundstimmung nie ins Negative kippt, liegt auch an Holly, die ihrem Vater zwar Versagen auf allen Ebenen vorwirft, aber unerschütterlich hinter ihm steht.

Hedonismus und Unschuld

Reizvoll stellt sich die Ära, in der der Film spielt, dar. Wohl mehr, als sie tatsächlich war. Denn Ende der Siebzigerjahre prägte der Verfall Los Angeles: Pornokinos siedelten sich am vormals glamourösen Hollywood-Boulevard an, der Hollywood-Schriftzug selbst bröckelte. Im Rückblick und im Film wirken die Siebziger wie eine heile Zeit – frei von Aids, Selbstmordattentätern und dem Diktat der Political Correctness. Lustvoll bricht der Film etablierte Tabus: In jeder Szene wird geraucht und geflucht, Alkohol ist Teil der Lösung und nicht das Problem. Auch die Figur Holly überschreitet Grenzen, nicht nur beim Autofahren, ohne bestraft zu werden. „Dad, hier laufen Huren und so was rum“, sagt die 13-Jährige einmal, als sie ihrem Vater auf eine Party der Pornobranche gefolgt ist. Dessen Antwort ist erstaunlich locker: „Wie oft habe ich es dir schon gesagt: Sag nicht ,und so was‘. Sag einfach ,Dad, hier laufen Huren rum.‘“

Die Siebziger sind in „The Nice Guys“ ein hedonistisches, unschuldiges und freies Zeitalter. Das hat eine betörende Leichtigkeit. Das dämmernde Umweltbewusstsein samt seinen Regulierungen macht sich aber schon bemerkbar. Im Film wird über Katalysatoren, Luftverschmutzung und die mächtige Autoindustrie in Detroit gestritten. Die Glanzzeit der „Motor City“ ist heute vorbei, die Stadt steht für wirtschaftlichen Niedergang. Der Film übt Kritik an den Autobauern, trotzdem ist ihm Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ anzumerken, nach dem American Dream, den Detroit in seinen Boomzeiten repräsentierte – trotz und wegen all des Drecks.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2016)

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