Sibylle Berg: Kleine, zynische Berg-Spitzen

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Herzlich und freundlich, dann wieder eine Diva. Das filmische Porträt über Sibylle Berg gibt nur wenig Auskunft über die unnahbare Schriftstellerin. Das macht aber nichts.

Ihr Geburtsjahr zum Beispiel. Lang hat Sibylle Berg ein großes Geheimnis darum gemacht. Auf keinem Klappentext ihrer Bücher war es zu finden, sogar das Internet-Lexikon Wikipedia gab darüber lang keine Auskunft. Irgendwann hat die Schriftstellerin in der Altersfrage kapituliert, zumindest steht in ihrem Wikipedia-Eintrag nun auch ihr Geburtsdatum (2. Juni 1962) – aber stimmt das wirklich? Mit vielen Fakten aus ihrem Leben geht es einem so. Man hält es immer für möglich, dass sie nur erfunden sind. Wir wissen, dass die sich stets schwarz kleidende Autorin in der DDR geboren wurde, irgendwann in den Westen gegangen ist, als Puppenspielerin ihr erstes Geld verdient und mit Anfang 30 einen schweren Autounfall erlitten hat. Nur, ist das alles wahr?

Wiltrud Baier und Sigrun Köhler wollten der unnahbaren Schriftstellerin und Theaterautorin in ihrer filmischen Nahaufnahme „Wer hat Angst vor Sibylle Berg“ eine Spur näherkommen. Und es ist tatsächlich mehr der Versuch einer Annäherung als ein klassisches Autorenporträt geworden. Man merkt schnell, dass die beiden es bestimmt nicht leicht mit Berg hatten. In einem Interview erzählten sie, dass sie abwechselnd „wie ein sehr junger Mensch, so herzlich und freundlich“ gewesen sei, „und dann wieder ein bisschen Diva.“ Es ist der Doku zugutezuhalten, dass man genau diesen Eindruck nach 84 Minuten gewinnt. Berg teilt zwischendurch süffisante Spitzen an die Frauen hinter der Kamera aus, aber auch an sich selbst. Dokumentarfilmer hätten ja eher kein Talent, „viele, viele Menschen zu begeistern“, sagt sie an einer Stelle. „Was stellt ihr euch denn unter eurem ellenlangen Interview vor? Das wisst ihr gar nicht?“, an einer anderen. Wenn sie nicht über etwas sprechen will, sagt sie das auch. Als die Frage auf das Thema ihres nächsten Buchs kommt, murmelt sie: „Können wir über das Wetter reden?“; und als die Filmerinnen die ohnehin nicht ganz ernst gemeinte Frage stellen, ob Berg darüber nachgedacht hat, den Namen ihres Mannes anzunehmen, entgegnet sie: „Vollkommen idiotische Kackfrage.“

Thomas Mann? „So was von blöd“

Im ersten Drittel der Doku, in dem wir Berg in jenem Haus in Los Angeles sehen, das man aus dem Film „The Big Lebowski“ kennt, ziert sich Berg deutlich. Lässt sich nur ganz wenig über die Schulter blicken. Wir wissen nun, dass sie Max Frisch hasst und Thomas Mann „so was von blöd“ findet, ihre biegsamen Beine ganz locker hinter ihre Schultern legen kann, nicht viel von Journalisten hält und als junger Mensch dachte, „wenn ich bis 40 nicht vom Schreiben leben kann, dann bring' ich mich um“. Dazwischen kommen immer wieder kleine zynische Spitzen: Als sie vor der Kamera einen ihrer liebsten Spazierwege im Tessin entlang gehen soll, sagt sie nach einer Weile: „Haben wir den Weg begriffen, oder müssen wir den noch weitergehen?“

Doch nach und nach lässt sich Berg auf ihr Gegenüber ein, vor allem, wenn es um ihre Arbeit geht. Erzählt, dass sie keine Beziehung zu ihren Büchern hat, sobald sie fertig sind. Gibt zu, dass sie ein Kontrollfreak ist: „Ich bin ein mittelständischer Unternehmer, der sehr viel arbeiten muss, um davon leben zu können. Da verbietet es sich, die Kontrolle sausen zu lassen.“

Wir sehen sie beim Duell mit einer kleinen Videodrohne, bei der Arbeit mit einer Regieklasse, beim Autogrammegeben, bei Freunden im Tessin (wo sie eine Wohnung hat), im Gespräch mit Moderator Olli Schulz auf einer Theaterbühne. Immer in ihrer Hand: ein kleiner, weißer Nikotin-Inhalator. Zu den besten Szenen gehören die Gespräche mit Bergs Freundinnen Helene Hegemann und Katja Riemann. Weil sowohl die junge Schriftstellerin als auch die Schauspielerin nicht so gekonnt auf der Ironie-Klaviatur spielen wie Berg. Sie erzählen fast ironiefrei und schwärmerisch von ihren ersten Begegnungen mit „der Sibylle“.

Es bleibt bis zuletzt unmöglich herauszufinden, welche Episoden in Bergs Leben wahr, welche erfunden sind. Hat sie wirklich schon mit fünf Jahren Krimis im Stil von Edgar Allan Poe geschrieben? Kung Fu gelernt? 50 Absagen bekommen, bevor das erste Buch veröffentlicht wurde? Wir wissen es nicht, aber eigentlich ist das auch egal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2016)

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