Spielbergs "The BFG": Gute Geschichte, wie aus dem Bilderbuch

BFG - BIG FRIENDLY GIANT
BFG - BIG FRIENDLY GIANTConstantin Film Verleih
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Steven Spielberg hat "The BFG" von Roald Dahl wunderbar verfilmt. Ein schöner Anlass, auch andere Werke des genialen Kinderbuchautors wieder aufzuschlagen.

Fünfunddreißig Jahre ist es nun schon her, dass Hollywoods Chef-Fantast Steven Spielberg und Drehbuchautorin Melissa Mathison mit der Geschichte einer innigen Freundschaft zwischen Menschenkindern und einem außerirdischen Wesen einen Welterfolg feierten. Wie schon bei „E.T.“ kommt jetzt auch der Titel ihrer zweiten spielfilmlangen Zusammenarbeit als Akronym daher – ganz so, als gäbe es eine geheime Fortschreibung dieser Kreativkollaboration, ganz so, als solle die Abkürzung als Abstraktion nochmals ein Schäufelchen Magie draufhieven auf die fantastische Erzählung, die sich dahinter verbirgt.

„The BFG“ stand allerdings schon auf dem Umschlag von Roald Dahls Kinderbuchklassiker, in Österreich als „Sophiechen und der Riese“ verlegt: Erschienen 1982 und damit im selben Jahr wie Spielbergs menschelnder Außerirdischer, erzählt der exzentrische Brite darin von der Begegnung zwischen dem vorlauten Waisenmädchen Sophie und einem nächtens durch die Stadt schleichenden Riesen. Zum Glück handelt es sich bei ihm um den BFG, den Big Friendly Giant, weshalb er sie nur ins Riesenland entführt und nicht gleich aufisst, wie es seine deutlich größeren und deutlich unfreundlicheren Artgenossen wohl getan hätten. Dahls einfach gestrickte Kindergeschichte ist wie gemacht für eine Verfilmung von Steven Spielberg: Sämtliche Leitmotive des hier im besten Sinne altmodisch agierenden Regisseurs, von der emanzipatorischen Kraft der Träume bis hin zum existenziellen Wert von Freundschaft, sind enthalten, ein Durchlauf für den mittlerweile 69-Jährigen also aufgelegt.

Umso höher ist es Spielberg anzurechnen, dass er sich nicht zu einem handelsüblichen, familienfreundlichen Spektakel hat hinreißen lassen: Sein „BFG“ ist trotz moderner Computertechnik ein wenig aus der Zeit gefallen in seinem tiefenentspannten Vertrauen in eine der ältesten Kulturtechniken überhaupt, das Erzählen einer guten Geschichte. Spielbergs Romanze mit der alten Welt und ihren besonderen Talenten kommt schon in den ersten Momenten zum Ausdruck, in denen Janusz Kamińskis Kamera in eleganten Zügen durch ein schmutzbereinigtes, aber dennoch düsteres London hin zu einem Waisenhaus fährt. Durch dessen Gänge schleicht Sophie, tankt ihren Kopf noch um drei Uhr nachts mit Geschichten voll, wie etwa Charles Dickens' „Nicholas Nickleby“. Sie ist, genauso wie der BFG, eine Außenseiterin: Der Riese wird von seinen rüpelhaften Artgenossen aufgrund seiner kleineren Größe häufig traktiert, etwas, was Sophie nur allzu gut versteht.


Hier fliegen die Träume. Spielberg hat hier zum ersten Mal mit einer Digitalkamera gearbeitet, vor allem, um die aufgrund des massiven Größenunterschieds zwischen seinen Hauptfiguren äußerst komplexen Dreharbeiten überhaupt bewältigen zu können. Angeblich habe sich der sehr erfahrene Regisseur bei der Ankunft auf dem Set zum ersten Mal seit „Der weiße Hai“ (1974) wieder überfordert gefühlt. Davon ist im Film nichts mehr zu spüren: Er ist idealtypisch in seinem Einsatz von analoger und digitaler Trickeffektkunst, die in keinem Moment die Geschichte überragt oder gar begräbt, nie chaotischer Ausfluss, sondern immer künstlerischer Ausdruck ist. Die visuelle Opulenz ist berauschend, aber nicht selbstzweckhaft: In der Sequenz, in der Sophie mit dem Riesen Träume fangen geht, die wie Irrlichter als bunte Funken um einen gewaltigen Baum herumfliegen, entwickelt Spielbergs Fantasy eine bilderbuchhafte Qualität. Später, als die bösen Riesen (gespielt u. a. von Jemaine Clement und Bill Hader) in die Höhle des BFG eindringen, um Sophie zu erschnüffeln, erweist sich Spielberg als routinierter Spektakelregisseur und arrangiert die Sequenz einer Achterbahnfahrt gleich, allerdings ohne seine Figuren aus den Augen zu verlieren.

Dahls Geschichte wird in Mathisons Bearbeitung deutlich heller und freundlicher, bleibt ihr aber in den meisten Details treu, bis hin zur vergnüglichen Kunstsprache Gobblefunk, die der Autor in mehreren Büchern verwendet hat: aus „human beings“ werden „human beans“, in der deutschen Übersetzung isst der BFG als überzeugter Nichtmenschenfresser und Vegetarier ausschließlich Kotzgurken und trinkt am liebsten Blubberwasser: ein sprudelndes Getränk, dessen Blasen nicht auf-, sondern absteigen und daher auch nicht zu Rülpsern, sondern Furzelbäumen führen.

Dargestellt wird der BFG vom Briten Mark Rylance, Spielbergs aktuellem Lieblingsschauspieler, der auch in seinen beiden nächsten Projekten mitwirken wird. Er verleiht seiner überlebensgroßen Figur durch das Performance-Capture-Verfahren außerordentlich viel Charakter und Ausdruck. Ihm gegenüber steht Ruby Barnhill, deren natürliches, warmes Spiel wohl nicht zuletzt auf Spielberg zurückgeht, dessen Talent im Umgang mit Kinderdarstellern unbestritten ist.


Der gereifte Spielberg. „BFG – Big Friendly Giant“ stellt neben den Historienfilmen „Lincoln“ und „Bridge of Spies“ Steven Spielberg als einen rundum gereiften Regisseur unter Beweis: Die unaufgeregte Eleganz seiner Filme, die durchdringende humanistische Wärme (oft als Kitsch missverstanden) seiner Erzählhaltung und das künstlerische Selbstbewusstsein, mit dem er ohne Pomp und Tamtam Spektakuläres errichtet, all das steht für einen Filmemacher, der sich selbst und der Welt nichts mehr beweisen muss, der nichts weiter will, als eine gute Geschichte zu erzählen. Mit „BFG – Big Friendly Giant“ ist ihm das bravourös gelungen.

Roald Dahls Botschaft an schlimme Eltern

Charlie und die Schokoladenfabrik, gelesen von
Katrin Nussmayr

„Der Wasserfall ist sehr wichtig!“, erklärt Willy Wonka den staunenden Kindern im „Schokoladenraum“ seiner wundersamen Fabrik. Ein gewöhnlicher Raum ist das nicht, vielmehr ein ganzes Tal, in dem das Gras aus Pfefferminz-Zucker ist und durch das sich ein schokobrauner Fluss schlängelt, der an einer Stelle in einen schaumigen Wasserfall übergeht. „Keine andere Schokoladenfabrik auf der ganzen Welt lässt ihre Schokolade von einem Wasserfall mixen!“, sagt Willy Wonka.

Das ist natürlich bei Weitem nicht die einzige Besonderheit im Reich des skurrilen Süßigkeitenherstellers. Angeblich soll sich Roald Dahl die Inspiration für sein zweites Kinderbuch, „Charlie und die Schokoladenfabrik“, aus wahren Begebenheiten während seiner Kindheit geholt haben: Damals, in den 1920ern, gab es in England zwei große Schokoladenmarken, die einander gern ausspionierten und Schulkindern Schokolade zum Testen schickten.

In Dahls ausgeklügelter, fantasievoller Schokoladewelt ist Spionieren unmöglich: Willy Wonka hat die Fabrik abgeriegelt, nur fünf Kinder, die ein goldenes Ticket ergattert haben, werden zur exklusiven Betriebsbesichtigung eingeladen. Einer davon ist der bettelarme, aber gutherzige Charlie, die anderen vier überbieten sich gegenseitig mit ihrer Verzogenheit.

Dass man mit Fleiß, Klugheit und Bescheidenheit weiter kommt als mit Jähzorn, Gier und schlechten Manieren, ist eine Moral der Geschichte. Eine andere ist, dass unausstehliche Bälger wohl nicht von selbst so unausstehlich geworden sind. So verpassen die Umpa-Lumpas, diese kleinwüchsigen, singenden Fabrikarbeiter, die die Verfehlungen der Kinder in flotten Versen kommentieren, etwa auch den Eltern der gierigen Veruschka Salz ein paar Zeilen – denn „wer hat das Kind denn so verzogen und so verwöhnt und so verbogen?“

Das Desaster nimmt seinen Lauf! Aber wie!?


Küsschen, Küsschen, gelesen von Bettina Steiner

Am Ende wartet meistens eine Enttäuschung. Auf den alten William Pearl etwa, der geglaubt hat, er könnte dem Tod mithilfe der Wissenschaft ein Schnippchen schlagen und als reines Gehirn weiterleben – aber da hat er die Rechnung ohne seine Frau gemacht. Hätte er ihr doch bloß nicht das Rauchen verboten! Auf den jungen Schnösel, der doch nur eine billige Herberge gesucht hat. Auf den Antiquitätenhändler, der als Geistlicher verkleidet durch die Dörfer zieht und den Bauern für einen Pappenstiel wertvolle Möbel abschwatzt. Und die Enttäuschung wartet auf den Leser der Kurzgeschichte „Genesis und Katastrophe“: Ach, wie gönnte er es der jungen Frau, dass dieser Sohn, den sie gerade zur Welt gebracht hat, überlebt. So gelitten hat sie, drei Kinder musste sie schon begraben. Alle Hoffnung ruht auf diesem Knaben. Nur gibt es da ein Detail, das erst im Verlauf der Geschichten enthüllt wird, das alles umwertet, alles verdreht.

Roald Dahl führt uns erst raffiniert in die Irre, lässt dann immer wieder Hinweise fallen – bis wir zwar ahnen, dass das Desaster seinen Lauf nehmen wird, aber was wir bis zum Schluss nicht wissen: Wie, um Himmels willen? Besonders böse: jene Storys, in denen Dahl eheliche Beziehungen seziert. „Gelée Royale“ etwa, eine Geschichte, in der sich Mann und Kind auf seltsame Weise verändern. Oder in „Mrs. Bixby und der Mantel des Obers“. So eine geschickte Finte hat Mrs. Bixby da ersonnen, damit sie das teuere Geschenk ihres Geliebten behalten kann, ohne dass der Ehemann Verdacht schöpft. Und dann: ja, was dann?

Erotische Geschichten mit makabren Pointen


Kuschelmuschel, gelesen von Friederike Leibl

Mein älterer Bruder hatte Roald Dahls „Kuschelmuschel“ zuerst im elterlichen Buchregal entdeckt, ganz oben, wo wir Jugendliche eigentlich nie etwas fanden, was uns interessierte. Der Titel machte uns neugierig, und irgendwo auf dem Klappentext war etwas von Erotik zu lesen. Und schon gehörte es uns.

Tatsächlich geht es in allen vier Geschichten um Sex. Oder besser, um das Verlangen und um das Ausmaß der durchaus kreativen Bemühungen, sexuelle Wünsche umzusetzen. Nie aber werden moralische Grenzen (in diesem Fall jene, die 1974 galten) überschritten, und wer sich eine Art „Fifty Shades of Grey“ der 1970er erwartet, wird angesichts ihrer heute fast rührenden Harmlosigkeit enttäuscht sein. Hier geht es nie zur Sache, sondern vor allem um das Davor.

Geschöpft wird unter anderem aus dem reichen Erfahrungsschatz von Onkel Oswald, einem hypochondrischen Weltenbummler, der sein eigenes Bettzeug mit auf Reisen nimmt, weil es ihn vor der Hotelwäsche ekelt. Er sammelt alles, nicht nur Frauen. Man erfährt, an welchem kleinen Detail der Unterlippe eine Nymphomanin zu erkennen ist, mit welchen Finessen Monogame zum Partnertausch gebracht werden oder was alles mittels eines Dufts passieren kann, der eine extreme sexuelle Anziehung auslöst. Makabre Details, sarkastische Pointen bis zum unvermeidlichen Twist, bevor die Storys unvermittelt abbrechen.

Manche Bilder hat man auch viele Jahrzehnte später noch gut in Erinnerung. Das Haar auf dem zitternden Dotter des Spiegeleis etwa. Subtiler Horror in bester Dahl-Manier.

Dieser schlaue Fuchs sagt "Danke" auf "Ich liebe dich"

Der fantastische Mr. Fox, gelesen von Katrin Nussmayr

Dass Füchse, also vor allem die, die in Geschichten vorkommen, schlau sind, geht nicht auf Roald Dahl zurück. Schon in antiken Fabeln, später in mittelalterlichen Erzählungen galt das Tier als klug und listig, ja gar bösartig. In Dahls Kinderbuch „Der fantastische Mr. Fox“ ist aber nicht der Fuchs der Böse, die Menschen sind es, genauer gesagt drei Bauern: Die heißen Boggis, Bunce und Bean, unterscheiden sich in der Art ihrer Unförmigkeit und gleichen sich in ihrem Hass auf den Fuchs – der stiehlt ihnen nämlich ihr wertvolles Geflügel. Im Versuch, ihn zu töten, haben sie gleich einen ganzen Wald umgegraben, das Zuhause vieler Tiere.

Natürlich hat Mr. Fox bald einen Plan, schließlich ist er schlau. Aber nicht nur das! Dahl hat ihn mit einer Reihe weiterer Wesenszüge ausgestattet, die die Lektüre des dünnen Büchleins zum Genuss machen. Der Fuchs, ein mutiger Typ und fürsorglicher Vater, ist zum Beispiel auch ziemlich eitel. Dass die Bauern ihm den feschen Schwanz abschießen, trifft ihn sehr: „Sprich bitte nicht darüber“, sagt er dem Dachs, der nachgefragt hat. „Es ist ein schmerzvolles Thema.“

So liest man schmunzelnd und manchmal staunend, wie die Tiere die üblen Bauern überlisten – und hat dabei freilich wenig Mitleid mit Letzteren, auch wenn sie dabei um einen Teil ihrer Erträge gebracht werden. Dahl führt mit seiner Erzählkunst durch diese nur auf den ersten Blick einfache Geschichte über das Überleben und einen Machtkampf zwischen Natur und Zivilisation. Unschuldige gibt es hier keine. Dafür viel Ehrlichkeit: „Ich liebe dich“, sagt der Dachs einmal zum Fuchs. „Danke“ sagt der Fuchs und fährt fort, seine Familie zu retten.

Ein Lob kecker Kids und hochbegabter Mädchen

Matilda, gelesen von Barbara Petsch

„Charles Dickens mag ich besonders gern“, sagte Matilda: „Bei ihm muss ich so viel lachen. Besonders über Mr. Pickwick.“ Nicht nur die vierjährige Matilda schätzt Dickens, auch der Autor des Buches, Roald Dahl, der sich vielleicht von Dickens' „Nicholas Nickleby“ für seine „Matilda“-Geschichte inspirieren ließ. „Nicholas Nickleby“ spielt teilweise in einer Erziehungsanstalt, wo, wie im 19. Jahrhundert üblich, grauenhafte Zustände herrschen. Dahls Matilda ist ein hochbegabtes Kind, das in die falsche Familie hineingeboren wurde.

Ihr Vater ist ein Betrüger, er frisiert Gebrauchtwagen. Die Mutter spielt am liebsten Bingo. Gefördert wird der Sohn, Michael. Abends sieht die Familie fern – mit Fertiggerichten auf den Knien. Der Umgangston ist brutal. Matilda schreibt sich heimlich in die Bibliothek ein und absolviert mithilfe einer freundlichen Bibliothekarin eine stattliche Leseliste: Auf dieser stehen Romane von Jane Austen, Rudyard Kipling, Charlotte Brontë und eben auch Dickens. Als Matilda in die Schule kommt, ist sie ihren Mitschülern haushoch überlegen. Die Lehrerin, Fräulein Honig, nimmt sich ihrer an. Doch die Schulleiterin, Frau Knüppelkuh, eine schaurige Walküre, hasst Kinder, besonders kluge.

Dahl erweist sich in diesem Buch als Übertreibungskünstler: Frau Knüppelkuh, eine olympische Hammerwerferin, übt bei den Kindern, wirbelt sie durch die Luft und wirft sie aus dem Fenster. Und sie hütet ein schreckliches Geheimnis, das auch mit Fräulein Honig zu tun hat. „Matilda“ ist zugleich eine Satire, eine Rückblende auf die schrecklichen Erziehungsmethoden der Vergangenheit, die durchaus nicht völlig überwunden sind, das Buch ist ein Lob der klugen Mädchen, eine Variation von Lindgrens „Pippi Langstrumpf“, und es bietet nebenbei eine kundige und witzige Einführung in Kinderseelen: vom pfiffigen Dickwanst Theo bis zum Punk en miniature, Hortensia.

Krasses Kinderleid – und ein rettender Pfirsich


James und der Riesenpfirsich, gelesen von Anne-Catherine Simon

James Henry Trotter lebte vier Jahre ein glückliches Kinderleben mit seinen Eltern an der Südküste von England, bis zu einem unseligen Ausflug nach London, wo seine Eltern von einem Rhinozeros getötet wurden.

Ein typischer Roald-Dahl-Einstieg ist das, makaber, genüsslich die Eltern (nicht nur) der 1960-Jahre schockierend, lakonisch serviert in drei, vier Sätzen als Auftakt eines seiner ersten, zugleich eines seiner beliebtesten Bücher. Kinder, die auf der Autofahrt quengeln, lassen sich erfahrungsgemäß durch diese Geschichte – auf einer dreiteiligen CD von Rufus Beck, der Hörbuch-„Stimme des Harry Potter“, gelesen – stundenlang so verzaubern, dass es nur noch dann lautes Wehklagen gibt, wenn die CD für eine halbe Minute pausiert. Für alle Zuhörer, kleine und große, verschwinden ja auch schlagartig die eigenen kleinen Alltagsunzufriedenheiten vor dem grenzenlosen und in der Geschichte lang ausgebreiteten Unglück des kleinen James.

Immerhin waren die Eltern in 35 Sekunden mausetot, erfährt man, während für den Vierjährigen nun ein einsames Martyrium bei seinen grässlichen und grausamen Tanten Schwamm und Zinke beginnt. Erst durch das Geschenk eines geheimnisvollen alten Mannes („Ich weiß doch, dass du sehr, sehr unglücklich bist, nicht wahr?“) und einen daraus entstehenden gigantischen Pfirsich wird die Erzählung in hoffnungsvollere, zugleich ungemein spannende Bahnen gelenkt. „James und der Riesenpfirsich“ wird zur Road-Story, als der Riesenpfirsich die Tanten um- und mitsamt James, einem Tausendfüssler mit 42 Schuhen, einem ängstlichen Regenwurm und noch vielem anderen Getier aus dem Tantengarten hinaus- und in die Weite rollt.

Und siehe da, James hat plötzlich (tierische) Freunde, erlebt sich als einfallsreicher, bewunderter und beliebter Bub und rollt auf dem Zauberpfirsich doch noch dem Glück entgegen. Wie in einem Märchen mit Überlänge gibt es allerdings vorher noch viele Gefahren zu bewältigen. Im Atlantik angekommen, muss der schwimmende Pfirsich auf der Reise gen New York vor Haien gerettet werden, James hat die zündende Idee: Seidenraupe und Spinne liefern die Seile, mithilfe derer 500 Möwen den Pfirsich aus dem Wasser ziehen. Dann müssen sie sich vor der Wut der Wolkenmänner in Sicherheit bringen und noch einiges anderes, bevor sie in New York auf dem Empire State Building landen und als prominente Bewohner des im Central Park angesiedelten Riesenpfirsichs ins Happy End entlassen werden.

So viele groteske Unwahrscheinlichkeiten, so viel Fantasie, so viel schwarzer Humor – da ist es kein Wunder, dass bei der fabelhaften, 20 Jahre alten Verfilmung ausgerechnet Regisseur Tim Burton als Produzent aufscheint. Für des Englischen sehr mächtige Kinder bietet sich auch die englischsprachige Hörbuchversion an, in der kein Geringerer als der Schauspieler Jeremy Irons erzählt – vielleicht in Erinnerung an eigene Kindheitsfreuden: Jeremy Irons war zwölf Jahre alt, als 1961 „James und der Riesenpfirsich“ erschien. Das ist nun 55 Jahre her, und Dahls Riesenpfirsich hat sich wirklich als Zauberfrucht erwiesen; er ist nicht die kleinste Spur runzelig geworden.

Autor

Roald Dahl (1916–1990) wurde in Süd-Wales geboren. Seine erste Kindergeschichte, „The Gremlins“, schrieb er 1942 für Walt Disney. Später schrieb er einige der beliebtesten Kinderbücher des 20. Jahrhunderts, wie auch makabre Kurzgeschichten für Erwachsene. Aus Dahls Feder stammt zudem auch das Drehbuch zum Bond-Film „Man lebt nur zweimal“.

Regisseur

Steven Spielberg, 1946 in Ohio geboren, mit Vorfahren, die einst in Spielberg in der Steiermark lebten, ist der bis heute erfolgreichste Filmregisseur und -produzent. Unter seinen Filmen sind „Der weiße Hai“, „E. T.“, „Jurassic Park“ und „Schindlers Liste“.

Filme nach Roald Dahl

„Charlie und die Schokoladenfabrik“. Psychedelisch und unheimlich ist die erste Verfilmung (1971) mit Gene Wilder als Willy Wonka. 2005 führte dann Johnny Depp als Schokoladenfabrikant durch sein Reich – in Tim Burtons üppig-märchenhafter Version.

„Hexen hexen“.Kritiker liebten Nicolas Roegs düstere Filmadaption (1990), Roald Dahl gefiel sie aber gar nicht.

„Matilda“. Regisseur Danny DeVito setzte das hochbegabte Mädchen 1996 in ein Umfeld aus US–Mittelstandskarikaturen. De Vito selbst spielt den grässlichen Vater.

„James und der Riesenpfirsich“.Henry Selick verarbeitete Dahls Geschichte 1996 zu einem fabelhaften Puppentrickfilm.

„Der fantastische Mr. Fox“. Im schrulligen Stop-Motion-Film von Wes Anderson (2009) spricht George Clooney den Fuchs.

„BFG – Big Friendly Giant“. Steven Spielbergs bravouröse Verfilmung kommt am 21. Juli ins Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2016)

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