„Bastille Day“: Morden mit Lkw – im Kino

(c) Constanin/ Studio Canal
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Nizza-Anschlag und Film. „Bastille Day“ über Attentatspläne in Frankreich wird dort aus den Kinos verbannt. „Ich, Olga“ bleibt – über eine Frau, die Passanten niederfährt.

Wer sehnt sich dieser Tage nach Frankreich? Wohl etwas weniger Menschen als sonst. In österreichischen Kinos freilich bekommt man das Land seit ein paar Tagen „en rose“ serviert, als Land voller (importierter) Stallwärme, das einen übers Meer gekommenen algerischen Bauern und seine Kuh Jacqueline verwundert, aber bald begeistert willkommen heißt. Mehr soziale Idylle ist kaum denkbar als im Wohlfühlfilm „Unterwegs mit Jacqueline“.

Er lockte, obwohl bescheiden beworben, im vergangenen Jahr überraschenderweise über eine Million Zuschauer in die französischen Kinos. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass der sanfte, naive Bauer Fatah nicht nur über beide Ohren in seine Kuh verliebt ist, sondern auch in „la douce France“ – in dem es zumindest politisch und sozial seit Längerem alles andere als sanft zugeht. Beunruhigend viele Kinder und Enkel jener Menschen, die einst hoffnungsvoll aus den ehemaligen Kolonien Algerien, Tunesien und Marokko gekommen sind, um in Frankreich ein besseres Leben zu finden, hassen den Staat, als dessen Bürger sie aufgewachsen sind. Kolonialgeschichte und Islamismus bieten sozial oder persönlich Frustrierten jederzeit genügend Narrative, um diesen Hass zu rechtfertigen. Diesen empfand wohl auch der 31-jährige Tunesier, der am Abend des französischen Nationalfeiertags in Nizza über 80Menschen mit seinem Lkw tötete und Hunderte verletzte.

Ebenfalls verbannt: „Made in France“

Die französische Realität ist explosiv. Soll man aber deshalb einen Film aus den dortigen Kinos verbannen, nur weil darin ein CIA-Agent einen Anschlag in Paris verhindern soll, der für den Nationalfeiertag geplant ist? Dieser wird in den USA „Bastille Day“ genannt (nach dem am 14. Juli 1789 gestürmten Gefängnis), und so heißt auch der Film, der seit Ende Juni in Österreich läuft. In Frankreich kam er einen Tag vor dem Anschlag in Nizza in die Kinos – und wurde nun vom Verleih zurückgezogen, „aus Respekt vor den Opfern und deren Familien“.

Nicht dass die französische Öffentlichkeit an dem mediokren Thriller viel verliert. Aber zum einen geht es darin nicht einmal um muslimische Terroristen (auch wenn es zunächst danach aussieht); zum anderen ist es bereits das zweite Mal innerhalb weniger Monate, dass ein Film nach einem Anschlag wegen zu großer Realitätsnähe zurückgehalten wird: Am 18. November hätte „Made in France“ anlaufen sollen, in dem Jihadisten einen Anschlag in Paris planen und auch das islamistische Treiben in den Vororten Thema ist. Nach den Attentaten fünf Tage davor beschloss man, den Film nicht zu zeigen.

Solche Gesten kollektiver Psychohygiene geben Gruppen das beruhigende Gefühl, sich bei fremdem Unglück „taktvoll“ zu verhalten. Zweckmäßig sind sie nicht, die Opfer haben nichts davon, und ihre Angehörigen haben wohl ebenfalls andere Sorgen. Im Übrigen läuft weiterhin unbehelligt ein Film in französischen Kinos, der angesichts des Nizza-Attentats ein mulmiges Gefühl hervorruft – auch wenn er weder in der Gegenwart noch in Frankreich spielt.

Das tschechische Werk „Moi, Olga“ („Ich, Olga“) greift eine Zeitungsnachricht der Siebzigerjahre auf und erzählt von einer jungen, lesbischen Frau, die mit einem Lastwagen Passanten niedergemäht hat; sie wurde zum Tod verurteilt, als letzte Frau in der Tschechoslowakei. Die 22-Jährige sieht sich im Film als von ihrer Familie und der Gesellschaft zerstört – und rächt sich, sagt: „Ich, Olga Hepnarová, Opfer eurer Bestialität, verurteile euch zum Tod.“ Gut möglich, dass der Attentäter von Nizza das ähnlich gesehen hat. Auch die nur eingebildete Demütigung kann Massenmörder produzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2016)

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