"The Legend of Tarzan": Tarzans digitale Domestizierung

Tarzan
TarzanJonathan Olley/Warner Bros.
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Die Faszination von Tarzan ist ungebrochen – aber hat ihre aktuelle Wiederbelebung im Blockbuster "The Legend of Tarzan" (Kinostart am Donnerstag) wirklich eine Berechtigung?

Als Edgar Rice Burroughs 1911 seinen ersten „Tarzan“-Roman zu Papier brachte, hegte er keine großen Erwartungen, wie er in einem Text über die Entstehung seiner berühmtesten Figur bekennt: „Ich fand die Geschichte nicht besonders gut und zweifelte daran, dass sie sich verkaufen würde.“ Sie verkaufte sich, und noch viel mehr als das: Der Affenmensch mit Lendenschurz schwang sich binnen kürzester Zeit zu einer der ersten richtigen Popikonen des 20. Jahrhunderts auf.

So wie ihn Burroughs in seinen Werken beschreibt, ist Tarzan ein wandelnder Widerspruch zwischen Natur und Zivilisation – wild und nobel, hemmungslos und tugendhaft zugleich. Als Kleinkind strandet er mit seinen adeligen Eltern in Afrika und wird nach deren Tod von Affen großgezogen. Sein Intellekt macht ihn zum fähigen Jäger und gefürchteten Urwaldkönig, der nur das Gesetz des Dschungels respektiert und seine Feine frisst – doch als er das erste Mal anderen Menschen begegnet, setzt sich sein angestammter Edelmut auf wundersame Weise durch.

Mit seinem animalischen Wesen schlägt er Jane in seinen Bann, im entscheidenden Augenblick weiß er sich allerdings zu beherrschen und folgt ihr schließlich zurück nach England, wo er sich ohne große Schwierigkeiten in die bessere Gesellschaft einfügt. Wahrscheinlich fußt der Erfolg der Figur auf ebendieser Janusköpfigkeit: In Tarzans Welt hat Freiheit keinen Preis. Nicht umsonst war Burroughs für den Essayisten Gore Vidal der „Archetyp eines amerikanischen Träumers“.

Seine Träume gingen in Erfüllung. Nach etlichen gescheiterten Karrieren wurde Tarzan für Burroughs zur Goldgrube – auch weil er sich die Rechte an seiner Schöpfung sichern konnte, bevor sich diese verselbstständigte. Bis zu seinem Tod schrieb der Autor 24 weitere „Tarzan“-Bücher, aber viel weitläufigere Verbreitung fand das Phänomen über andere Medien: Comics, Radio – und natürlich Kino. Die erste Stummfilmfassung erschien bereits 1918, doch die ikonischste Darstellung lieferte fraglos der österreichisch-ungarische Schwimmer und fünffache Olympia-Sieger Johnny Weissmüller im tönenden „Tarzan, the Ape Man“ (1932).

Urjodler stammt von Weissmüller. Der Athlet schlüpfte zwölfmal in die Rolle seines Lebens, ihm verdanken wir u. a. den charakteristischen Urjodler, ohne den man sich Tarzan heute nicht mehr vorstellen könnte. Im Lauf der Zeit folgten etliche Neuverfilmungen und -interpretationen, zuletzt etwa der Animationsfilm „Tarzan 3D“ (2013). Die Faszination der Figur hat nicht nachgelassen, trotzdem darf man sich die Frage stellen, ob ihre aktuelle Wiederbelebung im Blockbuster „The Legend of Tarzan“, der kommenden Donnerstag in Österreich startet, wirklich Berechtigung hat.

Zugegeben: Die Filmemacher versuchen durchaus, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Anstatt wie üblich im Dschungel, setzt die Handlung in London ein, wo ein assimilierter Tarzan (Alexander Skarsgård) sein Erbe angetreten hat und als Earl von Greystroke mit Jane (Margot Robbie) ein unaufgeregtes Leben führt. Als man ihn als Sonderbotschafter zurück in den Kongo schicken will, lehnt er ab, doch der Amerikaner George Washington Williams (Samuel L. Jackson) kann ihn überzeugen: Er braucht Unterstützung, um den Sklavenhandel der belgischen Kolonialmacht aufzudecken. Gemeinsam mit Jane treten sie die Reise an. In Afrika wartet Leon Rom, ein diplomatischer Vertreter des belgischen Königs (Christoph Waltz), mit einem Komplott auf die Rückkehrer: Tarzan soll die Rachegelüste eines örtlichen Stammeshäuptlings besänftigen, um Zutritt zu dessen Diamantminen zu gewährleisten.

Der langhaarige „True Blood“-Star Skarsgård versucht, seiner Figur mit stoischem Blick und entrücktem Habitus etwas Profil zu verleihen, doch die größte Attraktion dieses Films ist ohne Zweifel seine makellose Bauchmuskulatur. Sobald das Abenteuer in Gang kommt, darf er sie als Zeichen seiner ungezähmten Männlichkeit entblößen.

Die absurde Pin-up-Perfektion dieses Körpers ist aber auch emblematisch für das Kernproblem dieser Neuauflage: Alles, was hier wild sein soll, wirkt blutleer und artifiziell. Die gelackte, monochrome Ästhetik, die digital erweiterten Studiokulissen (nur wenig wurde vor Ort gedreht) – all das erweckt den Eindruck, als würde sich Tarzan durch das Gewächshaus schwingen und nicht durch den Urwald. Selbstverständlich (warum eigentlich?) kommen auch sämtliche Tiere aus dem Rechner, ebenso wie ein Großteil der Stunteinlagen. Der Affenmensch kämpft gegen einen computeranimierten Affen, so wie Leonardo DiCaprio unlängst in „The Revenant“ mit einem computeranimierten Bär rang, und man sehnt sich nach den Zeiten zurück, in denen sich Johnny Weissmüller ungelenk mit einem echten Löwen im Staub wälzte. Die Digitalisierung Tarzans ist seine wahre Domestizierung.

Die simple Erzählung und die schematische Inszenierung von „Harry Potter“-Regisseur David Yates schaffen es nicht, dem Projekt Leben einzuhauchen. Waltz und Jackson spielen reale historische Persönlichkeiten, doch sie bleiben typenhaft – der heroische Draufgänger, der süffisante Bösewicht. Der Film versucht im Übrigen, mit seiner Kolonialismuskritik den latenten Rassismus und expliziten Exotismus von Burroughs' Geschichten auszumerzen, doch das gelingt auch nicht wirklich – am Ende ist es wieder der weiße Nobelmann, der die schwarze Bevölkerung aus der Knechtschaft errettet.

Filme über Tarzan

1918. Der erste „Tarzan“-Langfilm, „Tarzan of the Apes“, ist inzwischen fast vergessen, Elmo Lincoln spielt darin den Herrn der Affen.

1932. Johnny Weissmüller liefert in „Tarzan, the Ape Man“ die berühmteste Darstellung des Urwaldhelden – und den Tarzan-Schrei.

1981. Regisseur John Derek bietet seiner Frau Bo in „Tarzan – Herr des Urwalds“ eine Plattform, um sich auszuziehen. Inzwischen Kult.

1984.„Greystoke: The Legend of Tarzan“ von Hugh Hudson hält sich eng an die Vorlage des „Tarzan“-Schöpfers Burroughs und ist eher Drama als Abenteuer. Der junge Christopher Lambert spielt die Titelrolle.

1997. Die bekannteste „Tarzan“-Persiflage ist „George, der aus dem Dschungel kam“: Brendan Fraser macht die Straßen San Franciscos unsicher, bis die Liebe ihn zähmt.

1999. Disneys „Tarzan“-Zeichentrick komprimiert die Vorlage zur niedlichen Coming-of-Age-Schablone. Schwach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2016)

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