Ben Hur wird König des Kitsches

Kein Vergleich zum Original – und nicht nur wegen der Technik: Jack Huston als Ben Hur beim Wagenrennen.
Kein Vergleich zum Original – und nicht nur wegen der Technik: Jack Huston als Ben Hur beim Wagenrennen.(c) 2016 Paramount Pictures and Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc.
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Der Neuverfilmung des Filmklassikers von 1959 durch Timur Bekmambetow fehlt es in vieler Hinsicht an Format. Action wie in einem Videospiel. Wenn es nur das wäre! Ab 1.9. im Kino.

Die entscheidende Frage bei „Ben Hur“ lautet: Wer gewinnt das Wagenrennen im Zirkus der Römer in Jerusalem? Die Antwort nach dem Remake aus Hollywood ist eindeutig. William Wylers Monumentalfilm von 1959, der wohl maßloseste nicht nur seiner Zeit, setzt sich mit mehreren Wagenlängen gegen Timur Bekmambetows circa halb so lange Fassung von 2016 durch. Diese hat zwar ausgefeilte technische Tricks zur Verfügung, und das auch noch in 3-D, aber an die Spannung von Wylers Version, für die bei Rom ein ganzes Stadion nachgebaut und mit Zehntausenden Statisten gefüllt wurde, kommt die neue Großproduktion nicht heran.

Man erinnere sich: Das fast vierstündige Opus von 1959 beginnt getragen mit Standbild und musikalischer Ouvertüre, viele Minuten lang. Der Komet zieht über die Weiten der breiten Leinwand und bleibt schließlich über Bethlehem stehen. Die Hirten, die Weisen aus dem Morgenland und die Kinobesucher werden Zeugen eines Wunders, der Geburt Jesu Christi in einem Stall. Das große Drama zwischen dem ehrgeizigen Römer Messala, der den jüdischen Fürsten Judah Ben Hur aus niedersten Motiven opfert, wird still und groß vorbereitet. Dann geht es Schlag auf Schlag. Messala ist als Tribun nach Jerusalem zurückgekehrt, scheint beim Besuch die alte Freundschaft mit Ben Hur und dessen Familie zu erneuern. Die Leidenschaft, mit der sich Charlton Heston in der Titelrolle und Stephen Boyd als Messala anschmachten, hat diesen Film zur Ikone für Homosexuelle gemacht. Doch aus Liebe wird Hass, als Ben Hur sich weigert, Namen jüdischer Oppositioneller gegen die Fremdherrschaft zu nennen. Rom oder Gott!

Kurzum, Messala nutzt einen Unglücksfall (ein Ziegel stürzt vom Hause Hur hinab und erschlägt beinahe den neuen Statthalter), um die ganze Familie auszuschalten. Ben Hurs Mutter und Schwester (die Messala romantisch verbunden schien) wandern in den Kerker, kriegen Aussatz. Der Titelheld aber muss auf die Galeere, nicht ohne vorher eine kurze Begegnung mit dem Zimmermannssohn Jesus, offenbar auf einem Umweg zur Küste, gehabt zu haben. Jahre dauert die Tortur auf dem Schiff, dann kommt die Wende.

Ben Hur rettet den Flottenkommandeur und Konsul Quintus Arrius vor dem Ertrinken, wird von ihm adoptiert, gewinnt in Rom bedeutende Wagenrennen und kehrt mit Rachegedanken in die Heimat zurück. Bis diese Wende erfolgt, bis schließlich just am Karfreitag, noch vor der Auferstehung, christliche Gnade und Heilung wirken werden, sind bei Wyler inklusive des musikalischen Zwischenspiels Stunden vergangen. Großes Kino eben.


Keine Chance für Männerliebe. Was aber macht Bekmambetow aus diesem Vorbild? Eine Seifenoper, die sich auch für Gamer eignet. Die Vorgeschichte wurde gestrichen. Der gut zweistündige Film beginnt mit einer kurzen Sequenz zum Start des berühmten Wagenrennens, dann folgt eine Rückblende: Messala (Toby Kebbell) ist Ben Hurs Adoptivbruder (wohl, um das Thema Homosexualität auszuschließen), sie liefern sich als junge Männer in der Wüste ein Wettrennen zu Pferd, bei dem der Titelheld (Jack Huston) stürzt, vom anderen schwer verletzt gerettet wird. Eine rührende Home-Story beginnt sich zu entwickeln. Messala flirtet mit der Schwester Ben Hurs (Sofia Black-D'Elia). Dieser heiratet eine Dienerin (Nazanin Boniadi). Dann geht Messala in die Armee, man sieht ihn für Rom kämpfen, in der Wüste, im Regen, im Schnee, gegen Barbaren.

Er kehrt als Tribun zurück. Der Auslöser für die Bestrafung des Hauses Hur wird nicht durch einen lockeren Ziegel, sondern durch den Pfeil eines jüdischen Widerstandskämpfers ausgelöst, dem Ben Hur Unterschlupf gewährt hat. Die beklemmenden Galeerenszenen und der Untergang des Schiffs sind prägnant und beeindruckend, der Konsul und Rom werden ausgespart. Es geht gleich an den Strand, wo Morgan Freeman als afrikanischer Scheich im Zelt mit vier weißen Pferden auf den später siegreichen Rosselenker wartet. Ben Hur ist der Pferdeflüsterer, der Scheich ein gewiefter Stratege, der für das Rennen in Jerusalem Tipps gibt, die auch bei den zu erwartenden Videospielen im Merchandising des Films hilfreich sein könnten: „Bleib anfangs zurück, lass dich niemals in die Zange nehmen, komm Messala nicht zu nahe.“

Ben Hur hält sich nicht an all diese Ratschläge, wo bliebe sonst das Tempo? Die Rennsequenz hier, die auch kürzer scheint als jene von 1959, ist zwar spektakulär in ihren Effekten und unglaublich nah, aber bei Weitem nicht so dramatisch wie die nunmehr bereits 57 Jahre alte Version. Das Rennen zählt dennoch zu den besseren Sequenzen des neuen Films. Dessen Dreidimensionalität wirkt zuweilen trotz der hohen Kosten billig, als ob zum Beispiel Jerusalem aus der Vogelperspektive eine Puppenküche wäre oder römische Kohorten aus einem übertriebenen Playmobil-Set stammten. Und die Darsteller der Protagonisten sind, wenn es um psychologisches Drama geht, nur begrenzt ausdrucksfähig. Wie ein Laienspiel wirken die Szenen mit Jesus (Rodrigo Santoro), dem man beim Tischlern in Jerusalem, beim Versorgen Gepeinigter und bei der Passion begegnet. Seine Sprüche sind eine Reader's-Digest-Version des Christus.

Zum reinen Kitsch wird das Finale. Messala wurde in der Arena besiegt, jetzt kann nur noch Erlösung helfen. Die allgemeine Heilung nimmt eine überraschende Wendung. Geheiratet wird! Am Ende sieht man eine jüdisch-christlich-römisch-afrikanische Gruppe durch die Wüste reiten. Die Mähnen der Rosse wehen, die Frauen lächeln, die Männer schauen heroisch, wissend und vielleicht sogar fürsorglich. Es fehlte jetzt nur noch, dass der rechte und der linke Schächer vom Kreuz steigen, die römischen Soldaten umarmen, ja herzen, während milde die Sonne über Golgatha aufgeht.

1880–2016

„Ben Hur“, ein Roman des Juristen, Generals und US-Politikers Lew Wallace (1827–1905), wurde in Dutzende Sprachen übersetzt. Die 1880 publizierte Story des fiktiven jüdischen Fürsten Judah Ben Hur, der zur Zeit Jesu unschuldig zu einer Galeerenstrafe verurteilt wird, in Rom aber Karriere macht, in die Heimat zurückkehrt, Rache nehmen will und durch Christus geläutert wird, war im 19.Jahrhundert das nach der Bibel meistgedruckte Buch. Es wurde dramatisiert und mehrfach verfilmt: 1907 und 1925 als Stummfilm.

1959 wurde der Monumentalfilm mit Charlton Heston in der Titerolle legendär. Der fast vier Stunden lange Klassiker von Hollywood-Regisseur William Wyler war der erste in Blue-Screen-Technik. 1960 erhielt er elf Oscars. Er hatte ein Budget von 15 Mio. US-Dollar – eine der aufwendigsten Produktionen der Filmgeschichte.

2015/16 kostete das Remake von Regisseur Timur Bekmambetow circa 100 Mio. Dollar. Der US-Start am vergangenen Wochenende mit elf Mio. Dollar war enttäuschend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2016)

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