"Light Between Oceans": Darf man ein gefundenes Kind behalten?

Alicia Vikander spielt in „The Light between Oceans“ eine junge Frau, die kein Kind bekommen kann. Als ein Baby angespült wird, nimmt sie es als ihres an.
Alicia Vikander spielt in „The Light between Oceans“ eine junge Frau, die kein Kind bekommen kann. Als ein Baby angespült wird, nimmt sie es als ihres an.(c) Constantin Film
  • Drucken

Regisseur Derek Cianfrance stellt in „The Light Between Oceans“ Fragen nach Schuld und Vergebung. Seine Stars Alicia Vikander und Michael Fassbender ließ er improvisieren.

Eine Frau, deren Ehepartner stirbt, nennt man Witwe, einen Mann Witwer. Ein Kind, das seine Eltern verliert, eine Waise. Aber wie nennt man Eltern, die ihr Kind verlieren? Diese Frage stellt Isabel Graysmark (Alicia Vikander) im Film „The Light between Oceans“ bei ihrem ersten Date mit Tom Sherbourne (Michael Fassbender). Eine solche Frage lässt keine strahlende Zukunft für das junge Paar erwarten. Schon die Vorgeschichten der beiden sind traurig. Tom ist gerade aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt und will „eine Weile von den Dingen wegkommen“, darum lässt er sich als Leuchtturmwärter auf eine Insel namens Janus Rock vor der Westküste Australiens bringen, auf der er der einzige Bewohner ist. Welche Gräuel er in den Schützengräben erlebt hat, darüber schweigt der insgesamt recht wortkarge Mann. Der Krieg hat auch im Leben von Isabel, die in dem kleinen Küstenort lebt, von dem Tom aus zur Insel fährt, Spuren hinterlassen. Sie ist das einzige überlebende Kind ihrer Eltern, ihre beiden Brüder sind in Frankreich gefallen. Es liegt an ihr, die Familie fortzusetzen.

Gute Männer sind nach dem Krieg rar, aber es ist nicht Kalkül, das sie zu Tom zieht, sondern Gefühl. Die beiden heiraten, und Isabel kommt mit auf die einsame Insel, die an der Grenze zwischen Indischem Ozean und Südpolarmeer liegt. Die Annäherung des jungen Ehepaars gehört zu den berührendsten und gelungensten Stellen des Films, der mit zunehmender Dauer rührselig wird. Diese kostbaren Momente am Anfang der Liebe: der erwartungsvolle und scheue Blick aufs Bett, sanfte Berührungen, schüchterne Küsse vor der stürmischen See. Erst langsam werden die Eheleute einander – auch körperlich – vertraut.

Dass diese Szenen so echt wirken, ist nicht nur den Schauspielern geschuldet, die bei den Dreharbeiten selbst ein Paar wurden, sondern auch der Methode von Regisseur Derek Gianfrance. Er drehte auf einer Insel vor der neuseeländischen Küste, wo seine Stars (Vikander bekam heuer einen Oscar, Fassbender war nominiert) auch lebten, und ließ sie improvisieren. Die Schwedin Vikander wurde etwa in Kostüm und mit verbundenen Augen auf die Insel gebracht, damit er sie filmen konnte, wie sie diese zum ersten Mal sieht. Am Ende der Dreharbeiten hatte Gianfrance durch dieses Method Directing 209 Stunden Material gesammelt, aus denen er den 132-minütigen Film destillierte.

Karge Strände, grüne Hügel

Die Landschaftsaufnahmen sind grandios (Kamera: Adam Arkapaw, „True Detective“): Steilküsten, karge Strände, grüne Hügel, und ständig geht der Wind. Das Australien des Films erinnert ein bisschen an die englische Grafschaft Cornwall, wie man sie aus romantischen Filmen kennt.

In „The Light Between Oceans“ folgt auf die Euphorie durch die Liebe die Trauer. Isabel wird zweimal schwanger und verliert beide Babys. Vikander spielt dies eindringlich, es bricht einem fast das Herz. So fühlt es sich auch für den Zuseher wie eine Erlösung an, als ein Boot angespült wird, in dem – neben einem toten Mann – ein Säugling liegt. Isabel und Tom melden den Vorfall nicht, sondern nehmen das kleine Mädchen als ihres an. Tom mit schlechtem Gewissen, Isabel in der Überzeugung, das Richtige zu tun. Später erfahren die beiden, dass die leibliche Mutter des Babys (Rachel Weisz) noch lebt. Sollen sie das Kind nun zurückgeben oder behalten?

In der zweiten Hälfte will Gianfrance sein Melodram in eine größere Erzählung über moralische Fragen, über Verzeihen und falsche Entscheidungen aus edlen Motiven überführen. Das gerät leider allzu vordergründig – und theatralisch. Die stille Verzweiflung des Mittelteils lag schwerer als das große Drama am Schluss.

Die Vorgängerfilme des Hollywood-Hoffnungsträgers waren ausgeglichener: Im mitfühlenden, unsentimentalen Independent-Drama „Blue Valentine“ (2010) erkundete er das Scheitern einer Beziehung, die aus falschen Gründen eingegangen wurde. In dem ambitionierten, eposhaften „The Place beyond the Pines“ (2012) schilderte er, welche Hypothek die Fehler der Väter für das Leben der Söhne sind. Im Vergleich dazu ist „The Light Between Oceans“, der auf dem gleichnamigen Historienroman von M. L. Stedman (2012) basiert, schwülstig. Keinen Preis gab es für das Melodram konsequenterweise beim Filmfestival in Venedig, bei dem er im Wettbewerb lief.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.