„Blair Witch“: Schockeffekte? Sowieso!

Blair Witch
Blair Witch(c) Studiocanal GmbH/ Chris Helcermanas-Benge
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Im neuen „Blair Witch“-Film spukt es lauter und extremer als im Original – auf das Spiel mit der Authentizität verzichtet man ganz.

Der Horrorklassiker „The Blair Witch Project“ aus dem Jahr 1999 wirkt ja aus heutiger Sicht regelrecht putzig: Ein staubtrockenes, mäanderndes Gruselartefakt ganz ohne Schockeffekte, in dem mysteriöse Steinhaufen und Reisigbündel drei Filmstudenten zum Hyperventilieren bringen, verkleidet als reales Video-Dokument – dem Gegenwartszuschauer kann solcher Budenzauber eigentlich nur kalt lassen. Das liegt nicht nur an den stetig steigenden Reizschwellen des Publikums, sondern auch an der Zersetzung ästhetischer Authentizitätskonzepte. „Echte“ Geistersichtungen sind auf YouTube gang und gäbe, Heimvideo-Horror hat als Subgenre inzwischen seine eigenen Konventionen ausgebildet, und die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion scheinen auch außerhalb des Kinos brüchiger als je zuvor.

Aber zu seiner Zeit erschien „The Blair Witch Project“ als Wunderding. Wegweisend war nicht nur sein Verwertungsmodell – als No-Budget-Produktion, die mittels Werbeoffensive zum Kassenschlager hochgedopt wurde – sondern auch die Interaktivität seiner viralen Marketingkampagne avant la lettre: Jungregisseure Daniel Myrick und Eduardo Sánchez befeuerten gezielt die Spekulationen um die Faktizität ihres Werks und regten Fans an, die Hexenmär im Netz weiterzuspinnen – mittlerweile gehören metatextuelle „Mythologien“ zum Reklame-Instrumentarium jedes zweiten Blockbusters.

Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich die relative Ereignislosigkeit der Filmhandlung als bewusste formale Entscheidung verstehen: Langeweile ist eben auch eine Realismus-Strategie. Die nur auf den ersten Blick kunstlose Kombination aus Leerlauf, natürlichem Schauspiel und schlampiger Handkameraführung macht (fast) nachvollziehbar, dass manche glauben wollten, es handle sich tatsächlich um vorgefundenes Material.

Geräuschteppich des Grauens

Angesichts des neuen „Blair Witch“-Films wird keiner auf solche Ideen kommen. Dieser ist ein sogenanntes Soft Reboot – also ein als Fortsetzung getarntes Remake – und schert sich trotz Found-Footage-Format einen Dreck um Authentizität. Die Handlung ist ein Wiedergänger: Der Bruder einer Hauptfigur aus dem Original entdeckt im Internet Aufnahmen seiner Schwester und verläuft sich auf der Suche nach ihr mit Freunden im dunklen Wald von Burkittsville. Nur wird diesmal keinerlei Zweifel daran gelassen, dass es dort mit übernatürlichen Dingen zugeht – es spukt in jeder Hinsicht lauter, aggressiver und extremer als beim ersten Mal. Statt einer Handvoll unheimlicher Holzmännchen hängen jetzt Hunderte im Dickicht, Zelte werden von Geisterhand in die Lüfte gerissen, sonderbares Getier wuselt in Wunden. Schockeffekte? Sowieso. Die Tonebene ist ein Geräuschteppich des Grauens. Zudem gibt es mehr Aufzeichnungsgeräte als Menschen – von Minikameras am Ohr bis zur Video-Drohne – was zuweilen eine nahezu klassische Szenenauflösung ermöglicht.

Insofern wäre es ein Leichtes, „Blair Witch“ im Vergleich zu seinem Vorgänger – das erste Sequel „Book of Shadows“ lässt man besser außer Acht – als billige Schreckmaschine abzukanzeln, aber neben anderen Schreckmaschinen erscheint er dennoch als Gustostück. Regisseur Adam Wingard und Drehbuchautor Simon Barrett – verantwortlich für tolle Genre-Subversionen wie „You're Next“ und „The Guest“ – haben sich schon in einem Kurzbeitrag zum Omnibusfilm „V/H/S/2“ an Geisterbahnkino aus der Ich-Perspektive versucht. Hier ziehen sie alle verfügbaren Register, um den Höllentrip aufzuheizen, und besonders die letzten 20 Minuten (inklusive klaustrophobischer Tunnelsequenz) gehen einem durch Mark und Bein. In der zirkulären Erzählstruktur des Films kann man überdies einen Seitenhieb auf seinen eigenen Remake-Charakter sehen: Das ist zwar keine Entschuldigung für Hollywoods Recyclingwahn, aber ein nettes Sahnehäubchen auf einer saftigen Horrortorte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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