Duisburger Filmwoche: Über Filme lässt sich gut streiten

(C) Filmwoche Duisburg
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Was können Dokumentarfilme sein und leisten? Darüber wurde bei der Duisburger Filmwoche debattiert. Zwei Filme aus Österreich wurden ausgezeichnet.

Man kann über alles reden. Auch das Kino ist da keine Ausnahme: Ohne (Streit-)Gespräche gäbe es keine cinephile Kultur. Kaum irgendwo wird dieser Grundsatz so beim Wort genommen wie bei der Duisburger Filmwoche, deren 40. Ausgabe vergangenen Sonntag zu Ende ging. Das altgediente Dokumentarfilmfestival im Herzen des Ruhrgebiets ist in jeder Hinsicht konzentriert: Es bespielt eine einzige Leinwand im Stadtkino Filmforum, das Programm ist linear, premierenarm und überlappungsfrei, und nach jeder Vorführung bietet sich die Möglichkeit der Nachbereitung in Form erweiterter Publikumsgespräche, meist in Anwesenheit der Filmemacher.

Heute dauern diese Debatten selten länger als 60 Minuten, früher konnten sie sich über mehrere Stunden ziehen und ordentlich ans Eingemachte gehen, was dem Festival vor allem unter Regisseuren den Ruf eines Schwitzkasten-Kolloquiums einbrachte. Dass die Tage der ideologischen Grabenkämpfe vorbei sind, liege auch an der Akademisierung des Filmdiskurses in den Neunzigern, meinte Festivaldirektor Werner Ružička. Begriffe wie Wahrheit und Wirklichkeit hätten dadurch viel von ihrem Gewicht verloren: Die Konstruiertheit des Dokumentarischen sei inzwischen ein Gemeinplatz.

Auf die Frage, was „das Dokumentarische“ im Kino eigentlich bedeutet, gab die jüngste Filmwoche entsprechend viele Antworten: Die Bandbreite der Zugänge reichte von der kühlen Analyse der Medienberichte über einen Angriff auf eine Polizeistreife in Frankreich (Volker Kösters „Wo Feuer ist, ist auch Rauch“) über avantgardistische Stimmungsbilder (Stefan Hayns „Dahlienfeuer“) bis hin zu Hybridwerken wie „Mirr“, in dem die Situation enteigneter Bauern einer kambodschanischen Minderheit zusammen mit den Betroffenen als Spielfilm ausagiert wird. TV-Doku-Infotainment wie „Offshore“, Werner Schweizers Porträt des Ex-Bankers und Whistleblowers Rudolf Elmer, tanzte in dieser Gesellschaft etwas ungelenk aus der Reihe, aber klassische Verité-Ansätze mit „unsichtbarer“ Form scheinen ebenfalls aus der Mode gekommen zu sein. Trotz der politischen Relevanz einiger Arbeiten spielten Reizthemen eine untergeordnete Rolle; das Festivalmotto „Es ist Zeit“ gab da auch keine Linie vor.

Ein Video, auf 90 Minuten zerdehnt

Die Auswahl in Duisburg beschränkt sich auf den deutschsprachigen Raum, Österreich war heuer mit neun Titeln besonders stark vertreten. Zwei heimische Beiträge wurden zu Recht mit Prämien bedacht: Patric Chihas „Brüder der Nacht“ bietet bulgarischen Roma, die in Wien als Stricher arbeiten, eine kunstlichtgetränkte Bühne zur (Selbst-)Inszenierung von (Wunsch-)Identitäten und schwingt zwischen zärtlich-sehnsuchtsvoller Projektion und harter Realität hin und her. In „Paradies! Paradies!“ begleitet die Exil-Irakerin Kurdwin Ayub ihren Vater bei einem Nostalgietrip nach Kurdistan, wo Wohnungsbesichtigungen und Kriegstourismus an der IS-Front wie selbstverständlich nebeneinander stehen. Für die hintersinnig-humorvolle Familienkiste erhielt die 26-Jährige einen Nachwuchspreis. Eine weitere Auszeichnung ging an „Havarie“ des Deutschen Philip Scheffner, der das knappe YouTube-Videodokument eines treibenden Flüchtlingsboots auf 90 Minuten zerdehnt, um auf der Tonspur dessen Hintergründe zu erforschen – ein streitbares, aber formal erfreulich radikales Konzept.

Etwas mehr Radikalität wünschte man sich in Duisburg öfters – bei den Filmen ebenso wie bei den Diskussionen, die mehrheitlich ausgesprochen gesittet abliefen. Zwar gingen viele tiefer als landläufiges Festivalgeplänkel, aber die Samthandschuhe der Moderatoren waren meist nicht zu übersehen, und obwohl sich das Filmwochenpublikum überwiegend aus Regisseuren, Kritikern und Studenten zusammensetzt, wurde die filmische Formsprache nur sehr zaghaft hinterfragt (Beweise gefällig? Das Festival führt seit seinen Anfängen ein Gesprächsprotokollarchiv, frei zugänglich unter www.protokult.de.)

Andererseits: Die Debatte nach „Safari“, dem Großwildjagd-Film von Ulrich Seidl, der sich aufgrund von Dreharbeiten entschuldigen ließ, eskalierte schnell zu einem aufgeheizten Hickhack, bei dem Vorwürfe (u. a. des Rassismus, weil die afrikanischen Jagdhelfer nicht zu Wort kommen) und Verteidigungen durch die Gegend flogen, ohne wirklich aufeinander Bezug zu nehmen. Und man merkte schnell: Mit der Produktivität des Streits ist es oft nicht so weit her. Aber auch darüber lässt sich – zum Glück – diskutieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2016)

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