Handke daheim: Ein stiller Film über die Dauer

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In „Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“ wird Handke von Regisseurin Belz in dessen Haus in Chaville besucht. Sie reichert ihren Film dokumentarisch an. Verehrer des Dichters werden ihn genießen.

Einige Züge fahren durchs Bild, im Filmporträt der deutschen Regisseurin Corinna Belz über den Dichter Peter Handke, man sieht stumme Betrachter in anonymen Vororten, von Paris oder anderen großen Städten. Solche Szenen erinnern an das Regiedebüt des Porträtierten aus dem Jahr 1978. Er hat damals seine zwei Jahre zuvor erschienene Erzählung „Die linkshändige Frau“ selbst verfilmt – ein Drama der Entfremdung, der Trennung, des Schmerzes, eine Elegie vom Alleinsein, in Frankreich oder anderswo. Produzent dieses Werks war der deutsche Regisseur Wim Wenders.

An dessen ruhiger, lakonischer Art hat sich offenbar nicht nur Handke damals, sondern nun auch seine sensible Beobachterin Belz orientiert. Sie lässt sich in ihrem Kinofilm mit dem epischen Titel „Peter Handke. Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“ sehr viel Zeit, um das Phänomen dieses Dichters zu fassen – eine Homestory in dessen zauberhaftem alten Haus in Chaville am Südrand der französischen Hauptstadt, garniert mit Dokumentarmaterial seit den Sechzigerjahren, gerahmt von Polaroidaufnahmen, die er in Fülle vor allem in den Siebzigerjahren gemacht hat, zudem mit Notizbüchern mit Zeichnungen oder wilden Streichungen versehen, auch neuesten, an denen sich der Autor in dem ihm vertrauten Ambiente geordneter Unordnung vor der Kamera zu schaffen macht. Der Bleistift ist stets griffbereit für die nächste Geschichte. Dinglichkeit herrscht fast immer: Handke beim Nähen, beim Säubern von Pilzen, beim Betrachten von Bildern, im Haus, bei der Arbeit im Garten, unterwegs und bei schlendernder Heimkehr, als ob er gerade aus dem Wald käme. Handke beim Schweigen.

Pilzköpfiger Provokateur von 1966

Die Stille ist wesentlicher Teil dieses Porträts, so wie es die prüfenden Antworten sind, die oft wiederum das vorangegangene Fragen sprachverspielt infrage stellen. Hier ist ein Poet in seinem steten Widerspruch. Er hat die Polemik und die Pose nicht verlernt, obwohl er ruhiger geworden zu sein scheint, wenn man zum Vergleich die eingestreuten Kontraste sieht: 1966 als pilzköpfiger Provokateur der Gruppe 47 in Princeton oder als einer, der sich vor zwanzig Jahren in Wien im Akademietheater einer Diskussion über Exjugoslawien stellt und als Reaktion auf die insistierende Frage eines Journalisten ordinär wird, sich fremde Betroffenheit verbietet. Sein unzeitgemäßes Eintreten für Serbien in lyrischen Reisetagebüchern, das beinahe unisono als Verteidigung einer Diktatur ausgelegt wurde, hat zu heftigen Polemiken gegen den Dichter geführt. Seine Reaktion auf solche Konfliktszenen sehen im Film beinahe gelassen aus. Man hat den Verdacht, dieser Mann lächelt bei manchen Antworten innerlich, also in größter Diskretion.

Seine Fans, die Liebhaber erlesener Literatur, werden den Film wohl still verehren, feinsinnige Exegeten werden diese Hymne an die Dauer genießen. Seine robusteren Gegner werden die 89 Minuten wahrscheinlich als überspannte Hagiografie abtun, doch einen Effekt hat dieser Film sicherlich. Er lädt dazu ein, das solitäre, seit fünfzig Jahren gereifte Werk mit seiner zuweilen irritierenden Innerlichkeit noch einmal zu studieren. Gelegentlich fährt die Kamera an Bücherbergen hoch, insgesamt Dutzende Handke-Titel. Belz dürfte sie genau studiert haben, ihr Film lässt sich auf seine Bildwelt geduldig ein, sie öffnet sozusagen Fenster, die einen neuen Blick auf all das Vergangene erlauben. Die Bilder sind aufschlussreicher als die Kommentare, die der Autor nebenbei abgibt. Sie sind ein bemühtes Suchen, das manchmal abrupt abbricht, irgendwo zwischen weihevollem Gehabe und authentischen Sätzen.

Alte Fotos, divergente Erinnerungen

Das Ambiente wirkt gewollt ästhetisiert, ob nun in eigenwillig gestalteten Innenräumen (Bücher auf dem Boden, Bilder nur angelehnt, Preziosen wie eine alte Schreibmaschine, Muscheln, Stiften, Stoffe) oder im verwunschenen Garten, in der Vorstadttristesse. Berührende Momente ergeben sich, wenn Frauen am Wort sind, zum Beispiel die jüngere Tochter Léocadie, die in das Reich dieses Prospero wie eine quirlige Miranda Bewegung bringt. Handke liest ihre Arbeit über große Filmregisseure. Und Amina Handke, inzwischen selbst eine renommierte Künstlerin, betrachtet mit dem Papa ein altes Foto. Man vermutet Harmonie, aber da entsteht ein im Dialog nur mühsam bewältigter Konflikt. Die Tochter schmerzt es immer noch, dass sich ihre Mutter, Libgart Schwarz, Handkes erste Frau, von ihm getrennt hat. Und der Dichter? Lobt die schöne Stille danach.

Da sieht man ihn dann, den Elfenbeinturm, in dem er sich verbirgt. Schauspielerin Sophie Semin, die zweite Frau, steht vor dem Haus, allein, erzählt von Anfeindungen. En passant weist sie hinter sich. Wer mit so einem zusammenleben wolle, würde ein Schloss brauchen, mit zwei Flügeln. Trauriger Schluss: Das habe man halt nicht. Aber es existiert doch! Seine fiktiven Salons heißen „Kaspar“, „Wunschloses Unglück“, „Die Wiederholung“, „Die morawische Nacht“, „Immer noch Sturm“, . . . Und dieses Traumgebäude wird noch immer intensiv bewohnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2016)

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