„Vaiana“: Disneys stärkste Anti-Prinzessin

Sie braucht kein Prinz zu retten: Die toughe Häuptlingstochter Vaiana stürzt sich und den Halbgott Maui in ein (Selbst-)Entdeckungsabenteuer.
Sie braucht kein Prinz zu retten: Die toughe Häuptlingstochter Vaiana stürzt sich und den Halbgott Maui in ein (Selbst-)Entdeckungsabenteuer. (c) Disney
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Der Animationsfilm ist eine schwungvolle Hommage an die polynesische Seefahrerkultur – und trumpft mit einer selbstbestimmten Protagonistin ohne Barbie-Maße.

„Ich bin keine Prinzessin!“, sagt Vaiana zum Halbgott Maui, der es gerade gewagt hat, sie so zu nennen. Wer recht hat, ist wohl Interpretationssache: Vaiana ist die Tochter eines polynesischen Inselhäuptlings und seine rechtmäßige Nachfolgerin, hat also gewissermaßen royalen Status. Wichtiger ist aber: Sie will keine typische Prinzessin sein, und sie wirkt auch nicht wie eine. Mutig, stur und abenteuerlustig, hat sie – die Regeln ihres Vaters missachtend – ihre idyllische Heimatinsel verlassen, um eine mythologische Mission zu erfüllen und dabei ihre wahre Bestimmung zu finden. Nun treibt sie, gemeinsam mit dem eitlen Maui, auf einem Boot über den Ozean und will von ihm jetzt bitte das Segeln lernen. Und wehe, er nennt sie noch einmal Prinzessin!

Disneys neuester Animationsfilm, „Vaiana“ (im Original heißen Film und Mädchen „Moana“, warum auch immer), ist nicht nur ein unterhaltsames Familienabenteuer, sondern auch der aktuelle Höhepunkt in der Emanzipationsgeschichte der Disney-Prinzessinnen: Die frühen – Schneewittchen (1937), Cinderella (1950) und Dornröschen (1959) – waren hübsche, aber charakterarme und passive Figuren, deren Happy End einzig davon abhing, von einem Prinzen gerettet zu werden. Arielle (1989) war schon viel unabhängiger und rebellischer, doch auch sie strebte vor allem nach Anerkennung durch ihren Traummann, für den sie sogar ihre Stimme opferte. In „Mulan“ (1998) kämpft ein Mädchen, wenn auch keine Prinzessin, als Mann verkleidet in der chinesischen Armee, und für die Königstöchter in „Die Eiskönigin“ (2013) sind Selbstbestimmung und schwesterlicher Zusammenhalt wichtig, die Liebe ist da nicht viel mehr als eine willkommene Nebenerscheinung.

Die 16-jährige Vaiana nun könnte an romantischen Abenteuern nicht weniger interessiert sein. Sie ist eine vielschichtige Figur, die klare Ziele, aber auch Selbstzweifel hat. Mit ihren stämmigen Beinen, den buschigen Locken und dem kleinen Busen ist sie auch die vermutlich erste Disney-Prinzessin, deren Körper realistischen Formen statt irrer Schönheitsideale entspricht. Sie wächst unter behüteten Verhältnissen auf: Stets magisch angezogen vom Meer, hört sie anfangs noch brav auf ihren Vater, der seinem Volk eingeschärft hat, das schützende Riff niemals zu verlassen. „Mehr als die Insel brauchst du nicht“, lautet das Mantra, das die Bewohner verinnerlicht haben. Als auf den Palmen schließlich die Kokosnüsse vertrocknen und in der Lagune die Fische ausgehen, gibt Vaiana ihrem Entdeckungsdrang und dem Ruf des Ozeans nach und segelt heimlich hinaus.

Das Rätsel um den Seefahrtsstopp

Die Geschichte beruht auf einem historischen Rätsel: Während westpolynesische Inseln wie Tonga und Samoa etwa 1000 v. Chr. besiedelt wurden, trafen auf den ostpolynesischen erst um 600 n. Chr. nachweislich Menschen ein. Für rund 1600 Jahre stellten die Polynesier, eigentlich ausgezeichnete Seefahrer, die allein mithilfe der Sterne, Wellen und Strömungen navigieren konnten, also ihre Entdeckungsreisen ein. Der Grund für diese Pause ist unbekannt, Theorien gibt es einige. „Vaiana“ erklärt das Phänomen nun mit alten ozeanischen Mythen: Seit der Halbgott Maui, ein tätowierter Gestaltwandler, der Inselgöttin Te Fiti das Herz gestohlen hat, lastet ein Fluch auf der Gegend, der für die Angst der Menschen vor dem Meer wie auch für die Nahrungsknappheit auf Vaianas Heimatinsel verantwortlich ist. Vaiana macht sich also auf, Maui aufzuspüren und das Herz zurückzubringen – um ihr Zuhause zu retten, aber auch, damit ihr Volk die vergessene Seefahrertradition wiederaufnehmen kann.

All das ist, wie ein Disney-Abenteuer nicht anders erwarten lässt, von den Regisseuren Ron Clements und John Musker geschickt und schwungvoll inszeniert und voller saftiger Südseeansichten – aber es gibt auch ästhetisch ungewöhnliche Szenen: Wenn sich der Kampf gegen eine fluoreszierende Riesenkrabbe in einer Schatzkammer unter dem Meer plötzlich in ein leuchtendes Neonspektakel verwandelt, oder wenn Maui (im Original: Dwayne Johnson) zu rappen beginnt und sich zwischen zweidimensionalen Kulissen in einer Art Musikvideo wiederfindet. Überhaupt wartet der Film mit eingängigen Liedern auf, auch wenn die deutschen Texte recht sperrig daherkommen – eine Ohrwurmepidemie, wie sie die Songs der „Eiskönigin“ bei Kindern auslösten (und für die sich die Regisseurin des Films letztlich sogar bei den genervten Eltern entschuldigte), ist dennoch nicht ausgeschlossen.

Die Macher von „Vaiana“ ließen sich für die Story im Übrigen von einem Expertenteam – darunter Anthropologen, Linguisten, Seefahrtfachleute – beraten. Kritik von Polynesiern wegen kultureller Insensibilität gab es trotzdem: Einige störten sich etwa an der Darstellung von Maui, den sie als beleidigend dick und zu albern porträtiert sahen. Als Nebenspieler von Vaiana fügt sich der abgehalfterte, selbstverliebte Held jedenfalls bestens in die Geschichte ein. Wo es langgeht, bestimmt ohnehin sie. Und Prinzessin, das wagt Maui sie nie mehr zu nennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2016)

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