„Love & Friendship“: Der Stolz aufs Vorurteil

 „Fakten sind eine scheußliche Angelegenheit“, sagt die verwitwete Lady Susan Vernon (Kate Beckinsale, r.), die nach einem Mann sucht.
„Fakten sind eine scheußliche Angelegenheit“, sagt die verwitwete Lady Susan Vernon (Kate Beckinsale, r.), die nach einem Mann sucht.(c) Polyfilm
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Eine amoralische Antiheldin, scharfzüngige Höflichkeiten, schnörkellos inszeniert: Whit Stillmans „Love & Friendship“ ist eine der besten Jane-Austen-Adaptionen, die es gibt.

Lugt man durch die ungeputzte Popkultur-Brille auf Jane Austen, zeigt sich eine schmachtende Romantikerin, deren preziöses Schaffen in erster Linie darauf abzielt, verträumte Mädchenherzen höher schlagen zu lassen. Diese Einschätzung greift selbstverständlich viel zu kurz, kommt aber nicht von ungefähr: Auch die besseren unter den zahlreichen Austen-Verfilmungen räumen den melodramatischen Aspekten ihres Werks für gewöhnlich mehr Platz ein als der Sozialkritik, der feinen Charakterzeichnung – oder dem bissigen Humor. Wenig überraschend blieb das kurze und kaum bekannte Briefroman-Frühwerk „Lady Susan“, das mit spöttischen Bonmots nicht geizt, bislang vom Kino unangetastet. Mit seiner amoralischen Antiheldin will es sich nicht so recht fügen ins betuliche Austen-Bild der Gegenwart, und die Autorin scheute sich zu Lebzeiten selbst vor einer Veröffentlichung. Umso erfreulicher, dass sich nun einer der literarisch bewandertsten und sprachbegabtesten Regisseure des US-Independent-Films des Stoffes angenommen hat: Whit Stillman.

Der 64-Jährige studierte in Harvard, arbeitete danach als Journalist und Magazinredakteur. Sein erster Spielfilm, „Metropolitan“ (1990), war das autobiografisch angehauchte Coming-of-Age-Porträt junger New Yorker Wohlstandskinder – ironisch distanziert, aber dennoch frei von Klischees und voller Empathie. Schon darin blitzte seine Austen-Verehrung auf, im Streit zweier uneingestanden Verliebter über Wert und Unwert von Austens „Mansfield Park“. Was Stillmans überaus spezifische Studien bourgeoiser Milieus – etwa der tolle Yuppie-Kultur-Abgesang „The Last Days of Disco“ (1998) – mit den Gesellschaftsdramen der Regency-Ära verbindet, ist neben ihrem Sprachverständnis das (tragikomische) Gespür dafür, wie schnell sich aufstiegsbedachte Selbstinszenierung in Selbsttäuschung verwandeln kann.

Jagd nach den guten Landadel-Partien

Bei Lady Susan Vernon (Kate Beckinsale) fallen diese beiden Eigenschaften so reibungslos in eins, dass man eigentlich nur staunen kann. Die frisch verwitwete, mittel-, aber keineswegs ambitionslose Dame ist egoistisch, kalkulierend, manipulativ und skrupellos – und zugleich von einer nachgerade anrührenden Naivität. Kein perfider Winkelzug, den sie nicht zur guten Tat umrationalisieren könnte, keine Realitätsdosis, die an ihrem selbstbezogenen Weltbild zu kratzen vermag. Susan ist stolz auf ihre Vorurteile. „Fakten sind eine scheußliche Angelegenheit“, sagt sie – und meint es völlig ernst.

Zu Beginn von „Love & Friendship“ (der sarkastische Titel klingt wie eine Parodie von „Sinn und Sinnlichkeit“, ist aber einem anderen Werk Austens entlehnt) jagt man die notorische Verführerin nach ungebührlichen Avancen vom Hofe eines verheirateten Lords. Kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen – beim Landadel gibt es noch viele gute Partien! Also auf nach Churchill, zum Anwesen eines Schwagers, wo ledige Jungmänner wie Reginald DeCourcy (Xavier Samuel) auf geistreiche Betörung warten. Für die aus dem Internat entfleuchte Tochter wird sich ebenfalls wer finden, und sei es auch ein Einfaltspinsel wie James Martin (großartig: UK-Fernsehveteran Tom Bennett). Der weiß zwar nicht, was Erbsen sind, und glaubt, der Dekalog enthalte zwölf Gebote – aber was ist schon Intelligenz im Vergleich zu Reichtum?

Was folgt, sind jede Menge Kabale und ziemlich wenig (aufrichtige) Liebe. Stattdessen gibt es schlanke 90 Minuten köstlicher Unterhaltung in Form von scharfzüngigen Gesprächen. Stillman inszeniert Lady Susans Intrigenspiel als schnörkelloses, sittenkomödiantisches Konversationsstück. Dessen von der stark aufspielenden Besetzung servierte und empfangene Spitzen piksen umso tiefer, als sie sich stets als Höflichkeiten tarnen – oder wirklich als solche gemeint sind. Und erstaunlicherweise bleiben dabei alle Figuren sympathisch, die Berechnenden, die Verblendeten, die Klugen und die Dummen, weil sie letztlich alle Gefangene der förmlichen Verhaltensregelwerke ihrer Welt sind. Nur können manche besser schummeln als andere. Genau darum ist die Protagonistin böse Soziopathin und mutige Rebellin in einem. Von den weichgespülten Puppenhaus-Promenaden handelsüblicher Kostümschinken ist das alles ziemlich weit entfernt – und macht „Love & Friendship“ zu einer der besten Austen-Adaptionen, die es gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2017)

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