"Adventureland": Verlockungen und Geheimnisse

Adventureland
Adventureland(c) Disney (Photo Credit: Abbot Genser)
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Autobiografische Herzensbildung: Greg Mottolas hinreißende Jugendkomödie "Adventureland" mit Jesse Eisenberg und Kristen Stewart ist eine Achterbahn der Gefühle mit Literatur von Rilke bis Gogol.

Es hätte der Sommer der Entdeckungen in Europa werden sollen: James (Jesse Eisenberg) hat das College abgeschlossen und will mit seinem besten Freund auf den Spuren seiner Helden Rilke und Dickens die Alte Welt erforschen. Doch statt der Verwirklichung jugendlicher Hoffnungen gibt es abrupte elterliche Ernüchterungen: Der Börsencrash 1987 steht zwar noch knapp bevor, aber sein Vater ist bereits in der Firma degradiert worden. Es gibt keinen Reisezuschuss, sondern James muss sich einen Job im Ort suchen. Die Literaturpromotion erweist sich da als wenig hilfreich – und so endet James im Vernügungspark „Adventureland“, noch dazu in der Loser-Abteilung.

Während die gut aussehenden Gewinnertypen bei den „Rides“, den Karussellen und Bahnen angestellt werden – und viel Zeit haben, ihre sportlichen, wohlgebräunten Körper zum lauten Rummelplatzpop tanzend zu präsentieren –, landet James bei den bleichen Intellektuellen und anderen Außenseitern der „Games“-Fraktion: Dort heißt es Schießbuden und Ähnliches unter Aufbietung von beträchtlichem Nervenaufwand zu verwalten, nicht zuletzt, weil auf beiden Seiten der Theke betrügerische Maßnahmen zum Alltag gehören.

Trotz der schlechten Ausgangsposition wird es der abenteuerlichste Sommer eines jungen Lebens: Adventureland, der Titel dieses Herzensprojekts von Regisseur und Autor Greg Mottola ist da durchaus doppelsinnig, auch wenn die Erlebnisse – womöglich unvermeidlicherweise – geradezu rituellen Charakter haben. James, unsicher, doch immerhin bewaffnet mit einem hilfreichen Marihuanavorrat, den ihm sein europareisender Kumpel als Abschiedsgeschenk vermacht hat, lernt die Regeln des Rummelplatzes von einem Pfeife rauchenden und Platon preisenden Kollegen (wunderbar: Martin Starr), lässt sich vom Vergnügungsparkcasanova, dem Mechaniker (Ryan Reynolds), Tipps in Liebesdingen geben und verliert endlich seine Jungfräulichkeit an die süße Mitangestellte Em (Twilight-Hauptdarstellerin Kristen Stewart zeigt ungeahnte Gefühlstiefe), trotz nervöser Verklemmtheit: „Stop saying intercourse“, meint Em im Lauf eines Gesprächs. Aber während James auf recht unschuldige Weise den Verlockungen einer begehrten „Rides“-Halbgöttin nicht widerstehen kann, hat Em dunklere (Beziehungs-)Geheimnisse.

Handverlesene Popsongs mit Lou Reed

Die Regeln und romantischen Wirrungen von (Hollywood-)Filmen über das Erwachsenwerden scheinen spätestens seit den Erfolgsproduktionen des kürzlich verstorbenen John Hughes unumstößlich, doch Mottola findet den aufrichtigen Kern, der in den Klischees steckt. So ist das Ergebnis zeitlos, auch wenn der spürbare autobiografische Hintergrund zum Gelingen beiträgt: Der Film hätte sogar im originalen Adventureland-Vergnügungspark gedreht werden sollen, wo Mottola in seiner Jugend arbeitete, der hatte sich jedoch zu stark verändert.

Die Details atmen aber authentisch das Jahr 1987, passenderweise die Zeit, als Hughes-Hits wie Der Frühstücksclub und Pretty in Pink die Teenagerwelten prägten. Das Achtziger-Erlebnis mit Proust'scher Hingabe inszeniert, als Comedy-Madeleine: in Frisur und Dekor, in der Iran-Contra-Affäre auf den Fernsehschirmen, doch vor allem in der Musik. Die paar Dutzend Popsongs in Adventureland sind handverlesen und entsprechend emotional eingesetzt: Die Euphorie und die Schmerzen bei der Herzensbildung kennen keine Hipness oder Peinlichkeit, egal, ob es sich um Metal-Röhren von Whitesnake handelt, um Balladenklassik mit Lou Reeds „Satellite of Love“ oder um Kulthardcore von Hüsker Dü (ein Bandname, der hier auch manches T-Shirt ziert). Die Rezeption von Falcos „Amadeus“, dem Rummelplatzdauerbrenner, ist dagegen doch desillusionierend.

Überwältigende Obsession

Dass Mottola die Achterbahnfahrt der Gefühle dabei vergleichsweise zurückhaltend und mit ausgewogenen Charakterschattierungen inszeniert, ist Beleg einer unterschätzten filmischen Intelligenz: Mitte der Neunzigerjahre hatte der Filmemacher mit der schwarzen Komödie The Daytrippersdebütiert, die bereits sein außergewöhnliches Gespür für Ensemblearbeit verriet. Danach schlug er sich beim Fernsehen durch, vor allem im Umfeld des mittlerweile zum arbeitswütigen Hollywood-Liebling aufgestiegenen Judd Apatow. Mit seinem zweiten Spielfilm Superbad durfte Mottola dann die beste Produktion der Apatow-Fabrik abgeliefern, weil er die Maßlosigkeit und das Bubenhafte seines Mentors reduzierte.

So kam es schließlich auch zur Finanzierung seines alten Traumprojekts. Vom wiederkehrenden Ensemble bis zu bestimmten Gags (etwa über die Schlagzeugsoli der berüchtigten Rocker Rush) verrät vieles an Adventureland die Genesis im sogenannten Camp Apatow, aber trotzdem wirkt das Resultat mehr wie ein Autorenfilm: Mottola rekonstruiert (s)eine Jugend mit derselben überwältigenden Obsession, mit der in einer herzzerreißend-hochkomischen Szene ein romantisch grausam Zurückgewiesener der vergeblich Verehrten trotzdem ein Buch von Gogol (samt Exkurs über dessen Seelenpein) näherzubringen versucht.

CAMP APATOW

Judd Apatow (*1967, New York) wurde in den letzten Jahren als Regisseur, Autor und Produzent zum Jungstar unter Hollywoods Comedy-Fabrikanten.

Seine Serie „Freaks and Geeks“ wurde 1999 zwar schnell wieder abgesetzt, erwies sich aber als enorm einflussreich und als Sammelbecken für seine künftigen Kinokooperationen.

Mit seinem Spielfilmdebüt „Jungfrau (40), männlich, sucht“ hatte Apatow 2005 einen Riesenerfolg, es folgten Hitcomedys wie „Beim ersten Mal“ und „Superbad“.Apatow arbeitet eng mit einer Gruppe von Kreativen zusammen. Zum „Camp Apatow“ gehören u.a. Schauspieler wie Steve Carrell, Seth Rogen und Paul Rudd, die Aktrice (und Apatow-Frau) Leslie Mann oder Regisseure und Drehbuchautoren wie Greg Mottola, Adam McKay und Jake Kasdan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2009)

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