"A Christmas Carol": Liebe Eltern, gebt gut acht...

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In Disneys Neuverfilmung des Dickens-Märchens mit Jim Carrey ist die Technik der Star. Regisseur Robert Zemeckis wühlte in der Zitatenkiste.

Wer von der Londoner Westminster Bridge per Schiff die Themse abwärts bis Greenwich fährt, erhält einen guten Eindruck von der Stadtgeschichte: die Lagerhäuser, der Richtplatz, die Pubs, der Schmutz, die Armut – erzählt alles der Führer, die Geräusche kommen vom Band. Mehr und mehr vergisst man die protzige Riverside und taucht ein in Charles Dickens' Welt. Auch Robert Zemeckis' Neuverfilmung von „A Christmas Carol“ für Disney beginnt mit einer Kamerafahrt über die Stadt, und weil das so schön ist, später gleich noch einmal.

Die Simulation hat sich stark weiterentwickelt, seit Michael Jackson in den Achtzigern in Disney World Florida in 3-D tanzte. Inzwischen wird 3-D mit digital kombiniert. Bei einer Pressekonferenz in London plauderten sowohl Zemeckis als auch der Schauspieler Colin Firth – er spielt Scrooges Neffen Fred – über die Vorteile für die Produktion: Die Darsteller werden in einem leeren Raum abgefilmt, alles andere, Dekor, Kostüme, Mimik, macht der Computer. Das endlose Wiederholen von Szenen fällt weg, die Freiheit des Regisseurs ist so groß wie wenn ein Maler mit den Augen seinen Pinsel bewegen könnte statt mit der Hand.

Trotzdem, das Porträt ist das Schwierigste, für Maler und offenbar auch für Filmemacher. Die Gesichter bleiben maskenhaft. Da muss die Lebendigkeit noch wachsen.

Technisch ist der neue „Christmas Carol“ trotzdem ein Schlager. Und sonst? Mitten in der Wirtschaftskrise wird die Läuterung eines Geldverleihers aus dem 19.Jahrhundert vorgeführt. Parallelen mit lebenden Bankern? I wo? Stattdessen wurden für die britischen Zuschauer lokale Dialekte einstudiert, Originalkostüme aus der viktorianischen Epoche inspirierten die Designer. Auch spielen mit Firth und Bob Hoskins (Cratchit) zwei waschechte Briten mit. In Amerika schmücken sich nicht nur die Neureichen, siehe Madonna, gern mit britischem Stil.

Weltgeist macht die Bösen gut

Der Rest der angelsächsisch geprägten Welt kann sich am Abhaken sämtlicher vertrauter Schauermotive delektieren. Da ist der Türklopfer, in dem der Geist von Scrooges verstorbenem Geschäftspartner Marley erscheint, es folgt der imposante Auftritt des Marley-Gespenstes, das wie jeder Ghost, der etwas auf sich hält, ein paarmal seinen Unterkiefer verliert und wie weiland auf Canterville entsetzlich mit den Ketten rasselt; die wilde Jagd, der Tod wie aus „Herr der Ringe“, die Grabinschrift im Schnee, die Verkleinerung des Protagonisten, die Zeitreise, der Mann im Mond, der Traum...

Mit esoterischen Texten in Romanform ist der Brasilianer Paulo Coelho, gewachsen aus portugiesischer Spiritualität, berühmt geworden. Auch Potter-Erfinderin Joanne K. Rowling montierte allgemeingültige Mythen. Zemeckis und sein Team fanden den Weltgeist in Dickens flammender Sozialkritik – der Autor hatte neun Kinder! Die Message ist also ein recht gravierendes Missverständnis, aber was soll's? Die direkt vor den 3-D-bebrillten Augen tanzenden Gespenster sind mehrheitsfähig – wie sehr, wird sich freilich erst zeigen, denn der Film liefert Superlative an Lautstärke und Brutalität.

Mit der Romantik im Kinderzimmer ist es vorbei. Harter und immer härterer Stoff muss her – und immer früher. Bald wird man Fantasy für Babys drehen. Gleich zu Beginn liegt Marley im Sarg. Missmutig kratzt Scrooge mit langen Krallenfingern Trinkgeld für den Sargträger aus seinem Beutel. Dann reißt er dem Leichnam die zwei Münzen weg, die seine toten Augen verdecken. Eltern kleinerer Kinder sollten überlegen, ob sie ihrem Nachwuchs diese brachiale Version zumuten wollen – auch wenn es Komisches gibt. Zum Beispiel den herrlich lebhaften Jim Carrey, der Scrooge und andere Figuren spielt. Menschen, Seite 12

LIEBLING DER KINDER

Fernsehen ist Kinderfernsehen. Film ist Kinderfilm. Glücklich: Stars, die dort landen. Jim Carrey spielte in „Grinch“, „Horten hört ein Hu!“, „Bruce Allmächtig“. Carrey (47) löst Tom Hanks (53) ab; er drehte mit Zemeckis „Forrest Gump“ und „Polar Express“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2009)

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