"A Serious Man": Die Schildbürger des Grauens

(c) Tobis
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Die Coen-Brüder lehren lachend: Leben ist Leiden. Fazit: Was soll's. Joel und Ethan Coen debütierten mit dem Krimi "Blood Simple", der Cannes-Sieger "Barton Fink" etablierte sie als postmoderne Kinokönige.

Who cares?“ – also „Was soll's?“ –, hört ein verzweifelter Mann mittleren Alters, als er den Rabbi um seinen geistlichen Ratschlag bittet. Mit „Was soll's?“, kann man auch das Schaffen der umtriebigen Gebrüder Coen überschreiben: Seit ihrem erfrischenden Neo-Noir Blood Simple (1984) zelebrieren Joel (für gewöhnlich Regie) und Ethan (gewöhnlich Produzent) angewandten Zynismus im Kino. Ihre Figuren sind verschrobene Einzelgänger, die ihrer Existenz Sinn geben wollen und zu spät erkennen, dass dieses Unterfangen sinnlos ist. Jetzt heißt es überall, ihr neuer Film, A Serious Man, bräche aus diesem Kreislauf aus, der ja irgendwann nur mehr stagnierende Charaktere, die um die Sinnlosigkeit des Menschseins wissen und daher nichts mehr tun, hervorbringen kann – also Zitate von Zitaten (wie im letzten Coen-Film Burn After Reading).

Erstmals eindeutig autobiografisch

Eine Revolution im Coen-Werk ist nicht zu erwarten, aber A Serious Man hebt sich von früheren Arbeiten ab, indem sich die Brüder deutlich in die Gleichung mit hineindenken. Der eigentliche Clou der Erzählung kommt da ins Spiel, der eben nicht wie überall gepriesen im offenen Ende – Was soll's? – zu finden ist, sondern in autobiografischen Einsprengseln: Vor solcher Selbstoffenbarung schreckten die Coens in ihren Genre-Pastiches bisher zurück, auch wenn man in diesen Neo-Noirs (The Man Who Wasn't There), Gangsterfilmen (Miller's Crossing) und Screwball-Komödien (Intolerable Cruelty) einiges von ihrem Innenleben erfährt: Immerhin sogen die beiden in der Kindheit das klassische Hollywood auf und inszenierten es dann mit der ersten eigenen Kamera im hauseigenen Garten nach.

Aber nie zuvor ließen sich faktische Parallelen zwischen ihren Leben und Filmen ziehen: A Serious Man baut das St.Louis Parks der Sechzigerjahre wieder auf, wo Joel und Ethan als Söhne eines jüdischen Professorenehepaars aufwuchsen. Zentralfigur ist der bebrillte, tatsächlich sehr ernste Akademiker Larry Gropik (perfekt besetzt: Michael Stuhlbarg), der mit Frau und zwei Kindern im Reihenhaus im Vorort von Minneapolis lebt. Er hat alles richtig gemacht, sein Leben den Leistungskriterien entsprechend gelebt, also hat er sich das Glück auch verdient. Das ist der Moment, ab dem in einem Coen-Film alles den Bach hinuntergehen muss: Larrys Frau hat eine Affäre und will die Scheidung, der Betrogene soll ausziehen und erhält auch noch Drohbriefe, die seine akademische Laufbahn gefährden könnten.

Diese Unglückshäufung, dieses Gefühl, plötzlich eine saftige Watsche bekommen zu haben, lässt den Mann der Wissenschaft hinauf zu Gott und seinen Gesandten blicken: Larrys drei Audienzen bei Rabbis strukturieren die Akte des Films. Sie treiben aber auch den Grundkonflikt voran: Ist die menschliche Existenz auf dieser Erde ein evolutionärer Zufall, oder gibt es einen göttlichen Schöpfungsplan? Soll Larry sein Unglück als Schicksal akzeptieren oder versuchen, es durch Willensstärke abzuändern, zumindest abzumildern? Wie immer, wenn im Kino von Gott die Rede ist, meinen sich die Regisseure damit eigentlich selbst. Immerhin sind es ja Joel und Ethan Coen, die den durchaus emphatisch gezeichneten Figuren die Hindernisse in den Weg legen, ihnen Trümmer auf den Schädel werfen.

Das Leben ist ein schlechter Witz

Gott ist in dem Fall ein gemeiner Hund, der sich an Larrys Agonie erfreut und dann rechtfertigend erklärt: Was soll's? So ist es eben. Die Gebrüder rücken auch in A Serious Man nicht von ihrer Weltsicht ab: Das Leben ist ein schlechter Witz. Das zeigt schon der Prolog in Jiddisch: Eine Hausfrau bringt einen älteren Mann um, da sie ihn für einen Dibbuk hält, ein Geisterwesen aus der jüdischen Mythologie. Der Mensch als Spielball der Götter oder des Schicksals ist ein altes, wiederkehrendes Thema. Bei den Coens allerdings läuft jeder Film – egal, welch großer Themen er sich annimmt – auf einen Schildbürgerstreich hinaus: Die Schöpfer spielen mit ihren Kreaturen, fügen ihnen Leid zu, warten ab, was passiert, entwickeln aber darüber hinaus keine weiterführende Vision oder gar eine Philosophie. Man meint das gehässige Lachen von Ethan und Joel beim Schreiben des Drehbuchs zu hören, beim Ausdenken von immer neuen, immer schlimmeren Qualen für ihre Figuren. „Was soll's?“, sagen sie. „So ist es eben, das Leben.“ Ab morgen im Kino

ZU DEN PERSONEN

Joel und Ethan Coen debütierten mit dem Krimi „Blood Simple“ (1984), der Cannes-Sieger „Barton Fink“ (1991) etablierte sie als postmoderne Kinokönige. Weitere Erfolge: „Fargo“ (1996), „The Big Lebowski“ (1998), „No Country for Old Men“ (2007, Oscar).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2010)

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