"Der Räuber": Dauerlauf mit Pumpgun

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Andreas Lust beeindruckt in Benjamin Heisenbergs existenzialistischer Studie frei nach dem Kriminalfall Kastenberger: eine Art Actionfilm für Akademiker.

Statt der Ronald-Reagan-Maske trägt der Titelheld beim Bankraub ein anonymes Gummigesicht: Benjamin Heisenbergs Der Räuber nimmt die Verbrechenserie von Johann Kastenberger zum Ausgangspunkt für eine existenzielle Actionstudie. Der erfolgreiche Marathonläufer Kastenberger machte in den Achtzigerjahren mit einer Serie von Banküberfällen – einmal drei am selben Tag – Schlagzeilen: als „Pumpgun-Ronnie“, weil er dabei stets die Präsidentenmaske trug. Bevor er in der bis dahin größten Fahndung der österreichischen Nachkriegszeit gefasst werden konnte, richtete er sich selbst.

Der heimische Schriftsteller Martin Prinz wurde von dem Fall zum 2002 erschienenen Roman „Der Räuber“ inspiriert, gemeinsam mit dem deutschen Regisseur Heisenberg hat er nun auch das Drehbuch für dessen antipsychologische filmische Räuberballade verfasst, die im Dauerlaufrhythmus der Hauptfigur Johannes Rettenberger vorbeizieht. In der ersten Szene macht sie ihre Runden noch hinter Gittern, im engen Gefängnishof. Bald läuft Rettenberger draußen, unter anderem durch die TV-Bilder vom Wien-Marathon – und schließlich mit der Pumpgun in die Bank. Das Konzept des Films ist gleichermaßen physisch wie abstrakt: systematisches Laufen als Flucht vor der Lebensleere, Rettenberger kümmert die Beute nicht, die landet unterm Bett – dafür misst er seine Pulsfrequenz nach der Tat.

Absolut beeindruckend ist Hauptdarsteller Andreas Lust: auch wegen der sichtlichen körperlichen Leistung bei der glaubwürdigen Laufarbeit, doch vor allem wegen der stechenden, dabei undurchdringlichen Intensität, mit der er die Getriebenheit seiner Figur spürbar macht. Ein Maskenmann, auch ohne Gummigesicht: wortkarg, ausdruckslos. In den Liebesszenen mit der alten Freundin (Franziska Weisz), bei der er unterkommt, ist er darauf konzentriert, beim Beischlaf die Frequenz zu halten. Als ihm der Bewährungshelfer (ideal: Markus Schleinzer) zu sehr auf die Nerven geht, streckt ihn Rettenberger mit seinem Siegerpokal nieder, als würde er ein lästiges Insekt erschlagen.

Verfolgungsjagd durch Wiens Keller

Rettenbergers Dauerlauf bleibt existenzialistisch zwar etwas dünn, ist aber konsequent und öfters geschickt arrangiert (gute Kameraarbeit: Reinhold Vorschneider): Am stärksten ist eine lange Handkamera-Verfolgungsjagd durch Wiener Kellergewölbe, die im Sprint über Tennisplätze kulminiert – da wird Rettenberger zum rasenden Austro-Pendant von Burt Lancasters entfremdeten US-Hinterhofwanderer in Der Schwimmer nach John Cheever stilisiert.

Zur Außenseiterüberhöhung dienen aber auch angestrengte Details: Der fast schon Kottan-komische, übertölpelte Polizeiapparat wirkt wie aus einem anderen, populistischen Film, auch auf die ironische Musik bei Banküberfällen und andere selbstbewusste Schlenker hätte man gern verzichtet. So ist Der Räuber ein interessantes, aber nicht ganz geglücktes Experiment: quasi ein Actionfilm für Akademiker.

„DIE PRESSE“ PRÄSENTIERTE

„Der Räuber“ ist der zweite Spielfilm des deutschen Regisseurs Benjamin Heisenberg: eine Koproduktion mit mehrheitlichem Österreichanteil und heimischem Sujet, Schauspielern, Schauplätzen. Am Mittwoch wurde er bei einem „Presse“-Kinoabend präsentiert.

Andreas Lust ist im März in einer weiteren Literaturverfilmung zu sehen: im Krimi „Der Kameramörder“ nach Thomas Glavinic.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2010)

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