Äthiopiens bitteres Epos

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„Teza“ ist die autobiografisch inspirierte Geschichte seines Regisseurs Haile Gerima.

Die Fackeln brennen in der Höhle und die Erinnerungen in der Seele: Anberber, ein in Deutschland ausgebildeter Doktor, kehrt Anfang der 90er in sein äthiopisches Heimatdorf zurück. Die Begrüßungsfreude bleibt kurz: Der Heimkehrer muss mitansehen, wie Kinder und junge Männer von den Regierungstruppen eingefangen werden – vom Pflug auf dem Feld als unfreiwillige Rekruten in den Krieg. Anberber blickt aufs Meer, die Vergangenheit bricht in Wellen über ihn herein: Vor dem Denkmal für die Opfer des italienisch-äthiopischen Kriegs (am Mussolini-Berg!) erinnert er sich, wie die Kinder des Dorfes vor eigenen und fremden Soldaten in der nahen Höhle Zuflucht suchten. Bei Mussolinis Angriff war es die Generation von Anberbers Vater, nun ist es diejenige seiner Kinder. Dazwischen liegt das Schicksal der eigenen Altersgruppe – und ein Vierteljahrhundert euroafrikanischer Geschichte.

Regisseur Haile Gerima entwirft in Teza – der Titel bedeutet Morgentau in seiner Muttersprache Amharisch – ein fantastisches und bitteres Epos der Ambitionen und Tragödien (s)einer Generation: Statt der angestrebten Veränderung von Äthiopiens Gesellschaft endete die Entwicklung desaströs. In packenden, impressionistisch montierten Szenenfolgen werden die Erlebnisse des entfremdeten Heimkehrers und verlorenen Sohns Anberber mit seiner in Rückblenden aufblitzenden Lebensgeschichte verzahnt. Gerima verschränkt die orale Tradition seiner Kultur mit der filmischen Moderne des Westens: Heimatliche Gesänge und Afro-Jazz halten die Bilderkaskaden zusammen, die vom Kameramann Mario Masini (Padre Padrone) eindrucksvoll in Erdfarben komponiert sind. Wie in Hiroshima mon amour wird die Gegenwart von der Vergangenheit überwältigt und bestimmt: Nicht nur der Körper des verkrüppelten, auf einen Gehstock angewiesenen Anberber ist gezeichnet.

Als Arzt will er Wissen in die Heimat tragen

Gerima zeigt die Welt durch seine Augen: Darsteller Aaron Arefe spielt eine vielschichtige Figur mit dem Charme eines Durchschnittsbürgers. Durch Anberber werden komplizierte Zusammenhänge und symbolschwere Bezüge übersetzt: Er gehört zur Generation junger Intellektueller, die im Ausland Wissen erwerben wollten, um es in die Heimat zu tragen. 1970, als daheim noch Kaiser Haile Selassi regiert, studiert Anberber Medizin in Köln und engagiert sich zwischen Politik und Liebe: Er glaube an den Sozialismus, sagt er einer schwarzen Schönheit, solange er nur eine Freundin habe.

Nach Selassis Sturz, 1974, folgt er dem besten Freund in die Heimat: Die Revolution der kommunistischen Derg-Militärjunta weckt Hoffnung. Doch es wird eine Zeit des roten Terrors. Beim Kaffee auf einer Terrasse wird ein Bekannter als „faschistischer Kollaborateur“ erschossen. Die Intellektuellen geraten unter Verdacht, im „Selbstkritiktribunal“ muss Anberber (vor den Porträts von Marx, Lenin, Stalin) für seine Proteste Abbitte leisten. Draußen übergibt er sich. Bald darauf überlebt er als Einziger ein Massaker im Spital. Als er schließlich begnadigt wird und zur Zeit des Mauerfalls nach Leipzig geht, wird er mit dem Rassismus im Westen konfrontiert.

Anberbers Geschichte ist autobiografisch inspiriert: Gerima ging 1967 in die USA, wo er Theater und Film studierte. Auf Heimaturlaub schuf er 1975 mit Ernte: 3000 Jahre ein Agitprop-Meisterwerk, in den USA verwirklichte er das zornige, große Ghettodrama Bush Mama. Mit der Jahrhunderte umspannenden Sklaverei-Allegorie Sankofa bestätigte er sich 1993 als herausragender afroamerikanischer Regisseur. Seither arbeitete er an Teza, einem Magnum Opus, das dennoch von den Beschränkungen gekennzeichnet ist, mit denen der kompromisslose Regisseur zu kämpfen hat. Das 2008 bei den Filmfestspielen Venedig preisgekrönte Epos ist erst sein fünfter Spielfilm in 33Jahren, es war unmöglich in den USA Geld für ein dermaßen ambitioniertes Projekt aufzutreiben.

Also entstand Teza mit (vergleichsweise lächerlich geringen) deutschen Geldern: Die Szenen und Schauspielerführung in Deutschland sind nicht immer überzeugend, fügen sich aber einigermaßen in Gerimas unverwechselbaren, drängenden wie didaktischen Mosaikstil. Obwohl das Resultat in solchen Defekten und seiner oft erstaunlichen Illusionslosigkeit viel von einem widerständigen Werk im Schatten erzählt, bekennt sich Gerima zuletzt doch zur Hoffnung: Am Ende kommt die nächste Generation aus der Höhle, mit prometheischen Fackeln. Gemäß dem alten äthiopischen Glauben sind sie die Kinder des Drachen. Die Zukunft ist in ihren Händen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2010)

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