Neu im Kino: Der Widerstand des Hühnerdiebs

Kino Widerstand Huehnerdiebs
Kino Widerstand Huehnerdiebs(c) EPA (20TH CENTURY FOX / HO)
  • Drucken

Wes Andersons Puppentrick-Fantasie "Der fantastische Mr. Fox" nach Roald Dahls Kinderbuch: Ein eleganter und nostalgischer Familienfilm - ein fantastisches Universum, wie es nur im Kino existieren kann.

In gewisser Weise hat Wes Anderson nie etwas anderes gemacht als Puppentrickfilme: Wenn jetzt also Der fantastische Mr. Fox, ein Fuchs, der das wilde Hühnerstehlen zugunsten einer Karriere als Kolumnenschreiber aufgegeben hat, über von Hand begrünte Hügel läuft und jedes einzelne auf seinem Reineke-Gesicht befestigte Haar im leichten Sommerwind weht, dann ist das Nahverhältnis zu den gleich konstruierten Figuren in Andersons Realfilmen wie The Royal Tenenbaums (2001) klar ersichtlich. Der US-Wunderknabe Anderson begreift das Kino – auch in Anlehnung an die großen Kulissenregisseure des klassischen Hollywood – als Baukasten, der keinerlei Anbindung an die außerfilmische Wirklichkeit nötig hat, weil er seine eigene Realität erschaffen kann. Bei der verschrobenen Großfamilie der Tenenbaums spiegeln sich die jeweiligen Charaktere auf bunt verzierten Innenwänden wider. So extravagant ihr Verhalten, so exzessiv das Design ihrer Lebenswelt: ein fantastisches Universum, wie es nur im Kino existieren kann.

In Der fantastische Mr. Fox setzt Anderson seine Expedition in die Randzonen des Familienfilms fort: Mr. Fox (im Original gesprochen von George Clooney) kann dem Durchschnittsleben mit Frau und Kindern im gemütlichen Baumstumpf-Apartment nicht so viel abgewinnen, als dass er von den wilden Freuden des Hühnerstehlens gänzlich lassen könnte. Die beraubten Bauern Boggis, Bunce and Bean rücken daraufhin der gesamten Fauna im umliegenden Hügelland mit schwerem Gerät zu Leibe: Für Fuchs, Dachs, Ratte, Feldmaus und vor allem ein grenzgeniales Opossum namens Kylie Sven brechen daraufhin harte Zeiten an.

Kampf gegen die industrielle Übermacht

Fantastic Mr. Fox ist die erste Kinoadaption von Roald Dahls gleichnamigem Kinderbuch: Der britische Erfolgsautor mixt in seinen Geschichten immerzu das Leichtfüßige mit Schwerverdaulichem, versetzt seine Parabeln und Fabeln mit erschütternden Einsichten in das menschliche Wesen, die er nicht zuletzt während seiner Soldatenzeit im Zweiten Weltkrieg gesammelt hat.

Das grundlegende Thema von Andersons Film ist demnach auch kein leicht zu umarmender Freiheitsschmus, sondern die Résistance: bewaffneter Widerstand gegen die industrielle Übermacht einer Tierkörperverwertungsmaschine. Es ist ein in jeder Hinsicht schlanker, entschlackter Film: elegant erzählt, weniger komplex arrangiert als Andersons letzte Realfilme The Life Aquatic with Steve Zissou (der schon berauschende Unterwasseranimationen bot) und The Darjeeling Limited. Der Fuchsbaukasten erinnert nicht selten an Kinderbuchillustrationen. Der Regisseur zieht den Bildraum zusammen, reduziert ihn oft auf eine zweidimensionale Ebene: ein mutiges Spiel mit Nostalgie in einer Zeit, in der sich die Leinwandwelten ins Unendliche hin ausdehnen, in denen James Cameron gleich einen ganzen Planeten von Grund auf errichtet.

Aber das Geschäft mit alten Moden läuft gut in der Unterhaltungsindustrie: Während Puppentrickfilm-Pioniere wie Karel Zeman oder Jan Švankmajer fast vergessen sind, spielen Animationsfilme wie Coraline von Tim-Burton-Schüler Henry Selick Jr. Millionen ein oder versetzen verschrobene Kreative wie Michel Gondry ihre Kinoarbeiten schon länger mit abgestaubtem Firlefanz. Selbst die Videospielbranche rudert nach der Explosion von 3-D-Welten wieder vorsichtig zurück: Das 2-D-Hüpfspiel „New Super Mario Bros. Wii“ sieht wie eine renovierte Version des weltberühmten „Super Mario Bros.“ aus – statt fotorealistischen Digitaloberflächen setzen Entwickler wieder vermehrt auf Texturen, die an Comics und Kinderbücher erinnern. Welche Rolle Der fantastische Mr. Fox in dieser Trendschubumkehr spielen kann und will, ist schwer zu sagen. In vieler Hinsicht ist er einfach die logische Fortsetzung des Anderson-Filmuniversums: der Beweis, dass es für gutes Kino keine fotorealistisch abgebildete oder nachgebaute Welt, sondern nur eine überzeugende Bühne braucht. Wie beim Puppentheater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.