"Burlesque": Ein Film wie ein Musikvideo

Burlesque Film Musikvideo
Burlesque Film Musikvideo(c) Sony
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Steve Antins Regiedebüt "Burlesque" ist ein glatt gebürstetes Aschenputtel-Märchen ohne Atmosphäre, Charisma und Sex. Auch Cher und Christina Aguilera ändern daran nichts.

Beizeiten schwemmen Zeitgeistströme scheintote Gangarten des Populären erneut an die Oberfläche: Die amerikanische Burlesque mit ihrem schweißtreibenden Mix aus anrüchigen Dialogen, knappen Kostümen und vulgärem Humor war bis in die 1930er-Jahre hinein ein beliebter Varietéstandard.

Ein Bauchladen aller Sinnesfreuden – dort wippten nicht nur Brüste und Josephine Bakers Bananengürtel zu eingängigen Melodien, sondern die Kellertheater waren auch Zufluchtsort und Treffpunkt für all jene, die nicht in den aseptischen „American Way of Life“ einbiegen wollten. Ein Ekstasenuniversum mit „Anything goes“-Attitüde, gebaut aus Träumen – und aktuell nachgebaut von Steven Antin. Mit dem revuetheatralischen Sing- und Tanzfilm Burlesque legt der Schauspieler und Drehbuchautor sein Debüt als Regisseur vor – und will damit gleichzeitig der vergessenen Kunstform huldigen.

Faltenlos-ambitionierte Cher

Die Provinzkellnerin Ali (ein solides Kinodebüt von Sängerin Christina Aguilera) folgt darin ihren Träumen in die Unterhaltungsmetropole Los Angeles, wo sie zuerst von allen respektablen Etablissements abgewiesen wird, nur um schließlich in der „Burlesque Lounge“ zu landen. Ein mit Holzvertäfelungen und zahlreichen Ornamenten versehenes Leidenschaftshaus wie herausgeschleudert aus dem vergangenen Jahrhundert, ein ewig modernes Relikt, von der zeitlosen Tess (faltenlos-ambitioniert: Cher) mit viel Herzblut und noch mehr Furor geleitet. „Welcome to Burlesque“, schmettert sie gleich zu Beginn in den halbdunklen Publikumsraum, während die Mädchen auf der Bühne sich in immer neue Formen choreografieren lassen.

Dorthin, ins Scheinwerferlicht, mitten in den Flitter, mitten in die aufregenden Kostüme will auch Ali: Zuerst muss sie aber erneut servieren, den feschen Barkeeper Jack (Cam Gigandet) kennenlernen und die Matrone Tess von ihren unbestreitbaren Talenten und Qualitäten überzeugen.

Derweil müht Antin sich ab, dem trotz aller Kulissenbaukünste und behaupteten Sinnesausschweifungen eigentümlich sterilen Lokal ein wenig Charisma und Atmosphäre einzuimpfen: Alan Cumming darf mit schwarz umrandeten Augen immer wieder das Geschlecht wechseln, und Stanley Tucci trumpft als schwuler Bühnen- und Kostümbildner auf. Seine sanft lakonischen, zärtlichen Dialoge mit Tess gehören zu den wenigen Höhepunkten des Films.

Zu generisch kommt das moderne Aschenputtel-Märchen ansonsten daher, zu glatt gebürstet sind die gesungenen und getanzten Predigten vom amerikanischen Traum, zu vernünftig und ausschreitungslos die diversen Scharmützel und Eifersuchtseskapaden in der rauch- und ruchfreien „Burlesque Lounge“, als dass Atmosphäre, Sex oder Charisma in dieses jugendfreie Unterhaltungsprodukt einziehen könnten.

Weit entfernt von „Cabaret“

Die Spießerlogik von Antins Drehbuch steht zudem im krassen Gegensatz zum Wesen der klassischen Burlesque: Statt unorthodoxer und subversiver Expressivität setzt es im Popmovie gleich reihenweise musikvideotaugliche Choreografien von musikvideotauglichen Frauenkörpern in rapvideotauglichen Aufzügen. Antins erklärtes Vorbild, Bob Fosses „Cabaret“, hängt wie eine Ahnung von vergangenen Zeiten über dem Mumpitz, eine Erinnerung daran, dass sich Unterhaltung und Substanz eigentlich nicht ausschließen müssen. Burlesque aber passt gut in eine Zeit, in der ein Popfabrikat wie Lady Gaga burlesque Versatzstücke durch den Hitparadensumpf schleppt und Castingshows zu den Traumgeneratoren für eine ganze Generation geworden sind.

Wie man's besser macht, zeigt der französische Schauspieler Mathieu Amalric in seiner aktuellen Regiearbeit Tournée: Gemeinsam mit amerikanischen Neo-Burlesque-Künstlerinnen wie Dirty Martini oder Kitten on the Keys reist er darin durch Frankreich. Die Frauen und ihre Auftritte sind so sinnlich wie exzessiv und erreichen eine künstlerische Naturgewaltigkeit, von der die Leistungstänzerinnen auf der Burlesque-Bühne nur träumen können.

Dort wird, wie es sich mittlerweile eben so schickt im Popuniversum, von Superstars mit echten oder nachgebauten Idealkörpern ein Selbstverwirklichungsmantra nach dem anderen heruntergebetet; und zwar bis der Letzte verstanden hat, dass auf dem Weg zum Erfolg einiges zu Bruch gehen kann, aber dass der Triumph im Scheinwerferlicht all das Blut, den Schweiß und die Tränen vergessen macht. That's Showbiz!

Auf einen Blick

Burlesque ist ein erotischer Tanzstil, der Mitte des 19.Jahrhunderts in England und Frankreich entstand. In den USA wurden daraus Anfang des 20.Jahrhunderts eine große Bühnenshow gemacht. Die Artistinnen entkleiden sich – anders als beim später entstandenen Striptease – nie vollständig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2011)

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