Austro-Film: Abschied vom (Über-)Vater

(C) Thim Film
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„Die Vaterlosen“. Marie Kreutzers preisgekröntes Spielfilmdebüt wurde als „Presse“-Premiere vorgestellt. Ihr superb gespieltes Ensembledrama verzichtet auf klassische Klischees des heimischen Films.

Die Mannen der Nouvelle Vague, also jener filmsprachlichen Renovierungsbewegung Mitte des letzten Jahrhunderts, die das Kino prägen sollte wie wenig Vergleichbares, die kämpften programmatisch gegen das cinéma de papa, das abgestandene, konservative Altherrenkino der Nachkriegszeit. In den letzten Monaten mehrten sich auch in Österreich Meldungen über eine neue Kinogeneration, die Schluss machen würde mit der Mieselsucht und dem Zivilisationsverdruss, die wieder ein wenig Sonne und Optimismus in das heimische Filmschaffen würden einziehen lassen.

Ausgangspunkt dieser Stimmungsverschiebung ist Marie Kreutzers erst vor Kurzem auf der Diagonale ausgezeichnetes Ensembledrama Die Vaterlosen, dem tatsächlich einige klassische Schlüsselreize des jüngeren österreichischen Films fehlen: keine Selbstzerfleischung, kein Seelenstrip, kein Ungustl-Sex, eigentlich überhaupt keine Ungustln mehr. Was übrig bleibt ist ein ausladendes Haus irgendwo im Steirischen, jedenfalls aber weit weg von den Gefühlslandschaften eines Michael Haneke oder Götz Spielmann. Seinen emotionalen Unterboden findet Marie Kreutzers Film dann auch im utopischen Morast des Hippietums: Damals entschlossen sich Hans (großartig: Johannes Krisch) und eine Handvoll anderer zum Leben in einer Mikrokommune.

Treffen an einem unwirklichen Ort

Erinnerungen an diese Zeit flirren in warmen Orangetönen durch Die Vaterlosen:Die Vergangenheit hält den Schlüssel bereit für das emotionale Dilemma der Gegenwart. Jetzt ist Hans tot und seine Kinder kommen noch einmal zusammen an diesem unwirklichen Ort, um Abschied zu nehmen von ihrem (Über-)Vater. Kreutzers Inszenierung wirkt organisch und bewegungsintensiv, oft baut sie ihre Sequenzen vermittels einzelner Gespräche auf, bevor sie in Gruppensituationen kulminieren. Nichts ist mehr zu spüren von der strengen Geometrie, die das österreichische Kino über das letzte Jahrzehnt hinweg auch international bekannt gemacht hat. Die Vaterlosen hat mehrere Erzählzentren: eine klassische dramaturgische Struktur für einen Ensemblefilm, zweifelsohne aber eine Herausforderung für eine Jungregisseurin. Kreutzers Drehbuch gelingt es allerdings schnell, handlungstragende und -gestaltende Figuren herauszuarbeiten: Enigmatisch und hitzköpfig kommt Sohn Vito (toll: Andreas Kiendl) daher, der mit breitem Akzent seinen Vater verteidigt und überhaupt liebäugelt mit der Idee, das mittlerweile baufällige Haus zu renovieren und die Kommunenidee von damals wieder aufleben zu lassen. Damit reibt er sich an seiner utopienmüden Mutter Anna (Marion Mitterhammer), die diesen Ort, anders als ihre Kinder, nie verlassen hat und die im verfallenden Haus langsam, aber sicher vereinsamt. Und dann ist da noch Kyra (Andrea Wenzl), das Kind von Hans und einer Kommunardin, die schon in jungen Jahren mit ihrer Mutter nach Deutschland gezogen ist und den Kontakt verloren hat zu den anderen. Sie ist die Geheimnisvolle, ein freies Radikal, das sich in die Familie gräbt und schließlich maßgeblich dazu beitragen wird, die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen.

Spielwütiges Ensemble im Korsett

Fast ist man ein wenig traurig, dass Kreutzer ihren Film immer wieder in ein dramaturgisches Korsett einspannt, dass sie ihrem spielwütigen Ensemble immer wieder Sequenzen verordnet, die einfach sein „müssen“, damit das große erzählerische Rund am Ende auch aufgeht. Da hört man dann nicht selten das Drehbuchpapier im Hintergrund rascheln, da spürt man förmlich die dramaturgische Mechanik, die waltet und schaltet, und den feinen Freiflug in der Inszenierung mit all der Alltagspoesie, all den tollen Blicken und Bewegungen immer wieder verunmöglicht.

Die Vaterlosen ist dennoch ein beeindruckender Film geworden und ist wohl vorwiegend als Versprechen zu sehen: dass sich die Regisseurin beim nächsten Mal mehr trauen wird, dass sie sich stärker auf ihre eigene Erzählerinnenstimme verlassen und weniger Konzessionen eingehen wird. Denn erst, wenn auch Marie Kreutzer selbst alle ihre geistigen Väter (und Mütter) losgeworden und ganz sie selbst geworden ist, werden ihre Filme aufhören, auch so zerrissen zu wirken. Dann hat Marie Kreutzer tatsächlich die Chance, eine neue österreichische Kinogeneration zu prägen.

Zu Regisseurin und Film

Marie Kreutzer (*1977, Graz) studierte Buch und Dramaturgie an der Filmakademie Wien, bereits mit ihren ersten Kurzfilmen erregte sie Aufsehen: „Cappy Leit“ (2000) und „un peu beaucoup“ (2002) liefen auf vielen Festivals und wurden preisgekrönt. „Die Vaterlosen“ ist ihr Langfilmdebüt. Es wurde heuer bei der Berlinale vorgestellt, gewann dann beim Austro-Filmfest „Diagonale“ mehrere Hauptpreise: als bester Spielfilm, für die Darsteller Johannes Krisch und Marion Mitterhammer sowie für Kamerafrau Leena Koppe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2011)

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