"The Fighter": Der Boxerfilm als Familiensaga

(C) Senator
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Das Oscar-Drama „The Fighter“ ist eigentlich die Geschichte zweier Brüder. Eine zeitgemäße Genre-Revision: unterhaltsam, wenn auch nicht klischeefrei. Ab heute im Kino.

Der große Kampf im Boxerdrama The Fighter findet eigentlich nicht im Ring statt, sondern in der Familie. David O. Russells Oscar-nominierter Film über den irischstämmigen Halbweltergewicht-Weltmeister Micky Ward (Mark Wahlberg) zeigt seinen Helden als herzensguten, aber nicht allzu klugen Boxer in den Fängen seines Clans: Die resolute Matriarchin (Melissa Leo) sieht den Sohn lieber verlieren, als dessen Karriereplanung aus der Hand zu geben, flankiert wird sie von sieben gleichgeschalteten Töchtern – ein so unheimlicher wie unheimlich komischer Fanklub. Und Mickys älterer Bruder Dicky (Christian Bale),einst Idol des Jüngeren, lebt zwischen Crackrausch und Erinnerungen an seinen fernen Kampf gegen Sugar Ray Leonard.

Reality-TV statt proletarischen Pathos

Im Prinzip ist The Fighter die Geschichte dieser beiden gegensätzlichen Brüder vor dem heruntergekommenen Hintergrund von Lowell, Massachusetts: einst Geburtsstadt der industriellen Revolution in den USA (sowie von Schriftsteller Jack Kerouac), in den frühen 1990ern von Drogen und Kriminalität gezeichnet. Micky ist da ein Idol der Nachbarschaft: Wird er es schaffen, sich aus der Malaise freizukämpfen, dem von Dicky vorgezeichneten Schicksal zu entziehen?

Die Beziehung zu einer so schönen wie selbstbewussten Kellnerin (Amy Adams) gibt dem gutmütigen Boxer den Rückhalt, um den Bruch mit seiner Familie zu versuchen. Wahlbergs (hervorragende) in sich ruhende Darstellung liefert dabei den Gegenpol zum augenrollenden, ausgezehrten und völlig überdrehten Bale (mit dem Nebenrollen-Oscar gewürdigt wie auch Leo für ihren ebenso auffälligen Auftritt als Mutter). Dass das Leben der Ward-Sippe an Reality-TV erinnert, liegt dabei weniger an Regisseur Russell, der es mit viel Freude am Tumult orchestriert, sondern schlicht an deren Selbstverständnis: Gestritten wird prinzipiell vor Freunden und Nachbarn, Dicky lässt sich sogar im Gefängnis bejubeln, als die TV-Doku High on Crack Street: Lost in Lowell über seine Drogensucht läuft. Einst wäre seine Figur der logische Held dieser Produktion gewesen: Die klassischen Boxerfilme nach dem Zweiten Weltkrieg wie Body and Souloder The Set-Up bezogen ihr proletarisches Pathos aus dem (Klassen-)Kampf des tragischen Boxerhelden gegen die Brutalität des kapitalistischen Systems. Seit Sylvester Stallones Welterfolg Rocky dominiert eine andere Formel (Ausnahmen wie Scorseses Raging Bull bestätigen die Regel): So konzentriert sich die zweite Hälfte von The Fighter zusehends auf Micky, der sich nach Niederlagen wieder ganz nach oben kämpft.

Russell, der nach ambitionierten Flops und längerer Pause hiermit seinen konventionellsten Film vorlegt, hat sich die Rocky-Lektion sichtlich zu Herzen genommen, drängt vorwärts durch Montagesequenzen: Statt Stallones Synthie-Fanfaren dient da ein Best-of-Classic-Rock-Sampler (von Led Zeppelin bis Rolling Stones) zur Untermalung.

Längste Kampfpause jemals

Trotz zeitgemäßen Kokettierens mit sozialer Erfolgstherapie und unterhaltsamer Eskapaden vertraut der Film doch ein wenig augenfällig aufs Klischee. Zuletzt gibt es die wohl längste Kampfpause jemals: Bruder Dicky bringt den angeschlagenen Micky erst dazu, auf- und abzuhüpfen, um wieder Gefühl in die wackligen Beine zu kriegen – und päppelt ihn dann auch noch mit der großen inspirierenden Ansprache des Films auf. Eine alte Finte, aber treffsicher serviert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2011)

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