Insidious: Die Geschichte des Horrorhauses

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Schöpfer der „Saw“-Serie, Leigh Whannell (Drehbuch) und James Wan (Regie) schreiben mit dem unabhängigen US-Hit „Insidious“ einen Liebesbrief an das klassische Gruselgenre – und gehen dann viel weiter. Im Kino.

Die Horrorfilmgeschichte ist voller Missverständnisse: Zeitgenössische Kritiker lehnten George A. Romeros epochalen Zombiefilm Night of the Living Dead (1968) als gewöhnlichen Billighorror ab und zerfetzen John Carpenters Science-Fantasy-Meilenstein The Thing (1986) in der Luft, nur um Jahre später zurückzurudern und in den Meisterwerkskanon einzustimmen. Also: Wie erkennt man einen Genrefilm, der per Definition mit generischen Stilmitteln und Erzählhaltungen zu hantieren hat, als zukünftigen Klassiker? Am Beispiel von Insidious lässt sich das hervorragend demonstrieren: Im Frühjahr lief dieser Schauerhausfilm der Saw-Macher Leigh Whannell (Drehbuch) und James Wan (Regie) in den USA an. Marktanalytiker gaben ihm mittelmäßige Chancen an der Kassa, da er aus dem kommerziell erfolgreichen „harten Horror“ Marke Saw ausschert und stattdessen den Charme und Schmäh klassischer Gruselfilme beschwört. Zur Verwunderung vieler setzte sich Insidious durch, blieb zwei Wochen an der Spitze der US-Kinocharts: nicht schlecht für einen unabhängig, also ohne Großstudioeinwirkung um knapp 1,5 Millionen Dollar produzierten Genrefilm.
Erzählt wird darin die Geschichte einer Kernfamilie: Mit ihren drei Kindern sind Renai und Josh Lambert (Rose Byrne und Patrick Wilson) eben in ein neues Haus gezogen. Erste Warnungen, dass sie dort nicht allein sind – vom Regal gefallene Bücher, verschwundene Notenblätter –, ignorieren sie. Bis der kleine Dalton eigentümlichen Geräuschen auf dem Dachboden nachgeht und von der Leiter stürzt: Als er daraufhin in ein medizinisch unerklärliches Koma fällt, sind die Eltern beunruhigt, mit gutem Grund. Wispern am Babyfon, Schreie im Flur und ein blutiger Handabdruck auf Daltons Bettzeug führen schließlich zum Umzug. Als sich die unerklärlichen Phänomene im nächsten Haus wiederholen, konsultiert Joshs Mutter (wunderbar: Barbara Hershey) eine Freundin (ausdrucksstark: Lin Shaye), die sich mit übernatürlichen Phänomenen beschäftigt. Für die fragile alte Dame ist schnell klar, dass es ein Dämon auf Dalton abgesehen hat – und dass er keine Ruhe geben wird, bis er ihn in seine Schattenwelt überführt hat.

Erinnerungen an „Poltergeist“

Bis dahin spielen Whannell und Wan so gekonnt wie konservativ auf der Schockklaviatur des Spukhausgenres. Plötzliche laute Geräusche und unheimliche Schattenwürfe lassen in Kombination mit der neoklassizistischen Ausleuchtung Erinnerungen an Tobe Hoopers Poltergeist und Peter Medaks Das Grauen aufkommen: Settings, Themen, Farbgebungen und Figurenzeichnungen der 1980er kanalisieren die Fanboys Whannell und Wan in eine erste Hälfte, die gleichzeitig Hommage und Original ist. Sie gehen aber viel weiter: Da der Regisseur die Freiheit des unabhängigen Filmemachens nach einem Jahrzehnt als Strippenzieher hinter dem zu Tode gefolterten Saw-Phänomen merklich genießt, teilt er seinen aktuellen Film in der Mitte. Ab dem Moment, an dem Vater Josh von seinem Potenzial für Astralreisen erfährt, wird vom Zuschauer eine höhere Toleranzschwelle für das Fantastische vorausgesetzt: Akzeptiert man diese Komponente, so taucht man mit der zweiten Hälfte von Insidious in eine andere Horrortextur ein.
Durch zuvor nicht sichtbare Türen steigt man in einen Fantasieraum in Blau, Grün und Rot, belebt von bedrohlichen Kreaturen und dem Teufel selbst. Wenn man so will, dann reist man tatsächlich durch die metaphysischen Elemente des Kinos, durch eine geheime Historie der Horrorästhetik. Angelehnt ist dieser barocke Erfahrungstunnel an die Gruselromantik der 1960er, im Besonderen an die in allen Farben der Nacht leuchtenden Arbeiten des italienischen Meisterregisseurs Mario Bava. Durch diesen genialen Schraubenzug innerhalb einer fortfließenden Geschichte erzählt Insidious auch eine Genese dieses speziellen Genres: Irgendwie dringt man, Schritt für Schritt, zum Kern des Unheimlichen vor. Aus dem 1980er-Setting reist man zurück in die 1960er: Alles, was man dafür tun muss, ist einen Schritt durch die richtige Tür zu setzen. Ein Haus, errichtet auf dem anderen. Insidious umrahmt diese Bauten mit einem feinen Stück postmoderner Architektur, gleichsam einem Liebesbrief an all die rumpelnden Gemäuer und Dämonen der Vergangenheit. Irgendwie spürt man, dass der Film in 20 Jahren selbst ein Klassiker genannt werden wird – und dass irgendwer ein Haus darauf errichten wird.

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