Der eigene Staat: Schlumpfhausen ist überall

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Ab Freitag läuft der neue „Schlümpfe“-Film. Nicht nur die Zwerge leben in einem Fantasiereich, nicht anerkannte (Kleinst-)Staaten gibt es weltweit. Als Kunstprojekt, Spaß, politische Geste oder Betrügerei.

Als der belgische Comicautor Pierre Culliford alias „Peyo“ 1958 die Schlümpfe erfand, legte er den Grundstein für einen Welterfolg: Peyo selbst hielt die Begeisterung für die kleinen blauen Figuren für eine vorübergehende Mode, doch er irrte. In Zeiten bröckelnder Gesellschaftsverträge und drohender Staatspleiten liegt der Reiz des Schlumpf-Universums klar auf der Hand: In Schlumpfhausen gibt es kein Geld und keine sozialen Unterschiede, also auch keine entsprechenden Krisen. Im am Freitag anlaufenden 3-D-Hollywoodfilm Die Schlümpfelanden die animierten Titelhelden zwar bald im Chaos von New York City, aber da geht es auch eher um Traumfabrikwerbung für Kaufräusche und Kleinfamilienglück.

Denn Schlumpfhausen ist überall: In Form von Mikronationen, die nichts mit Peyos blau blühender Fantasiewelt zu tun haben, aber ihr in vieler Hinsicht ähneln. Ob als Witz, zu sozialen oder zu künstlerischen Zwecken gegründet: Es sind selbst ernannte unabhängige Staaten, meist auf kleinstem Gebiet, die aber von den echten souveränen Staaten nicht anerkannt sind – das ist der Unterschied zu „richtigen“ Zwergstaaten (wie Monaco oder Vatikanstadt).

Ein Adelstitel kostet zwölf Dollar

Auch Österreich hat eine berühmte Mikronation: Die 1976 ausgerufene Republik Kugelmugel vom Künstler Edwin Lipburger, ein kugelförmiges Haus, 1971 ohne Baugenehmigung auf einer Wiese in Katzelsdorf errichtet. Nach Rechtsstreitigkeiten wurde das Kugelhaus 1982 in den Wiener Prater verlegt, weitere Prozesse folgten – und internationale Resonanz: Über 600 Menschen aus aller Welt haben eine Kugelmugel-Staatsbürgerschaft. Die schwedische Mikronation Ladonia, 1996 vom Künstler Lars Vilks gegründet, um seine Riesenskulpturen in einem Naturschutzgebiet zu retten, bietet die Staatsbürgerschaft gar kostenlos auf ihrer Homepage an (um zwölf Dollar Aufpreis gibt es Adelstitel.)

Viele Mikronationen haben eigene Flaggen, Pässe, Briefmarken, Währungen etc., ob als Sammlerstücke – oder zum Jux wie beim Aerican Empire, das 1987 diverse Galaxien als sein Territorium beanspruchte: Der Wert seiner Zahlungseinheit Solari hängt direkt vom Wasserstoffpreis ab. Valora, die Währung der Mikronation Molossia hat den Gegenwert einer Dritteltube Keksteig Marke Pillbury. Diese satirische, selbst ernannte „diktatorische Bananenrepublik“ hat Kevin Baugh aus Nevada gegründet, der schon 1977 als Kind so ein Projekt entwickelte. 1999 erklärte er sein „Regierungshaus“ plus Hinterhof und Vorgarten zum unabhängigen Staat. Samt eigener Post und Kunstinstallationen zum Thema Mikronation, die (wie Kugelmugel) touristisches Interesse weckten. Präsident Baugh hat auch eigene Kriegsanleihen ausgegeben – für seinen angeblich seit 1983 tobenden Kampf gegen die DDR.

Noch einfallsreicher ist der finnische Schelm Ari Peltonen, ein Radioreporter und Musiker, der 2006 das Königreich von Valtio („Staat“) ausrief. Er machte Finnlands damaligen Außenminister Alexander Stubb auch gleich zu seinem und suchte erfolglos um EU-Mitgliedschaft sowie Eurovision-Song-Contest-Teilnahme an. Zur Hauptstadt seines im Norden in Lappland liegenden Reiches erklärte Peltonen Turku im Süden, schließlich akzeptierte der dortige Leiter der Stadtverwaltung seine Petition (er war aber nicht zuständig). Nachdem eine von Finnlands Armeezeitung organisierte bewaffnete Expedition in Valtio einmarschiert war und die finnische Flagge gehisst wurde, drohte dessen offen „machtgieriger“ Herrscher durch die offizielle Anerkennung von Taiwan eine diplomatische Krise mit der Volksrepublik China heraufzubeschwören.

Solche Staatsaffären lesen sich wie die heitere Hobby-Umsetzung des Titels des Standardwerks zum Thema Mikronation: „How to Start Your Own Country“ (1984, von Erwin R. Strauss). Aber es gibt ernsthaftere Landesgründungen, manche mit kriminellen Absichten: Das 1986 auf diversen Pazifikinseln ausgerufene Dominion of Melchizedek diente als Vorwand für Geldwäsche und Bankbetrug, das Königreich EnenKio, 1994 auf dem Wake-Atoll installiert, täuschte mit fiktiven Staatsanleihen und kostenpflichtiger Staatsbürgerschaft.

Anderswo sorgte die Idee der Mikronation für Publicity: Die ligurische Gemeinde Seborga erklärte sich 1993 unter Berufung auf einen mittelalterlichen Vorläufer zum Fürstentum: Unter „Sua Tremendità“ Prinz Giorgio und mit nur im Ort gültiger Fantasiewährung sowie Souvenirartikeln floriert der Fremdenverkehr der sonst normal als Teil Italiens agierenden Kommune. Ein Coup gelang auch 1977 dem walisischen Örtchen Hay-on-Wire, das sich zum Königreich ernannte, um als größtes Bücherdorf der Welt bekannt zu werden.

Republik der Atomgegner

Mikronationen dienten auch für politische oder soziale Interventionen: Als Australien die gleichgeschlechtliche Ehe ablehnte, riefen Aktivisten 2004 das Gay & Lesbian Kingdom of the Coral Seas aus und machten Gloria Gaynors „I Am What I Am“ zur Nationalhymne. Der Global State of Waveland war 1997 ein Greenpeace-Protest gegen die Erdölförderung im Atlantik. Die Republik Freies Wendland, proklamiert 1980 von Atomgegnern bei Gorleben, wurde nach einem Monat geräumt. Nachhaltiger war die Gründung der Republic of Kinney: Die gleichnamige Stadt in Minnesota erkämpfte 1977 durch Sezession die Finanzierung ihres ruinierten Wassersystems.

Weniger Glück hatte US-Millionär Michael Oliver, der 1972 auf den unbewohnten Minerva-Riffen vor Tonga eine künstliche Sandinsel für einen Turm mit Flagge aufschütten ließ: Diese Republik Minerva annektierte der König von Tonga, alle Rückeroberungsversuche scheiterten. Schade: Mit dem Regierungsprogramm für eine Gesellschaft ohne sozioökonomische Eingriffe hätte die Republik auch Schlumpfhausen heißen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2011)

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