Spielbergs "Tim und Struppi" in atemloser Jagd

Spielbergs Struppi atemloser Jagd
Spielbergs Struppi atemloser Jagd(c) Sony
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Steven Spielbergs Herzensprojekt nach Hergés Comics soll dem 3-D-Kino Auftrieb bringen: oft ein virtuoses Spektakel, aber ohne den Charme der Vorlage. Tim und Struppi ist Spielbergs erster Animationsfilm.

Vor 28 Jahren hat sich US-Starregisseur Steven Spielberg die Rechte an den „Tim und Struppi“-Comics von Hergé gesichert. Da hatte er wohl keine Vorstellung davon, wie seine jetzige Leinwandumsetzung aussehen würde: Die Abenteuer von Tim und Struppi ist sein erster Animationsfilm und in 3-D. Das verdankt sich einem zweiten Erfolgsfilmemacher: Peter Jackson, an dessen Herr der Ringe-erprobtes Effektteam Spielberg herantrat, als das Projekt vor einigen Jahren zur Produktion anstand. Jackson überredete Spielberg, auf den „Performance Capture“-3-D-Prozess zu setzen: Bei der „Bewegungserfassung“ werden echte Schauspieler aufgezeichnet, dann im Computer animiert und in digitale Wunderwelten eingesetzt. Nur so, meinte Jackson, könnte ein Film der gerühmten klaren Linienführung des belgischen Comickünstlers Hergé gerecht werden.

Das Resultat ist eine kuriose Mischung aus Herzensprojekt und Spektakelkino, das den Abwärtstrend bei 3-D-Besucherzahlen wieder umkehren soll. Die Handlung hat Spielberg mit anderen ausgewiesenen Fans der Comics – wie den britischen Regisseuren Edgar Wright und Joe Cornish als Koautoren– aus einigen Hergé-Bänden um den bubenhaften Reporter Tim und seinen treuen Hund Struppi eingedampft, mit entsprechenden Änderungen: Aus „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“ kommt das Kennenlernen von Tim und Kapitän Haddock, dem trinkfreudigen Seebären mit farbenfrohem Fluchrepertoire („Hunderttausend heulende Höllenhunde!“). Der Hauptstrang der Geschichte fußt aber auf dem zweibändigen Abenteuer „Das Geheimnis der ,Einhorn‘“ (so lautet auch der deutsche Filmuntertitel) und „Der Schatz Rackhams des Roten“: Tim entdeckt auf dem Flohmarkt ein Schiffsmodell – und darin einen Teil der Schatzkarte zum Piratenerbe eines Haddock-Vorfahren. Nach der Entführung durch einen zwielichtigen Gegenspieler führt die zusehends atemlose Jagd an anderen alten Bekannten des „Tim und Struppi“-Universums und Motiven aus weiteren Comic-Alben vorbei: Butler Nestor, die Opernsängerin Castafiore, die tollpatschigen Detektive Schulze und Schulze – nur der zerstreute Professor Bienlein (im „Rackham“-Comic eingeführt) fehlt irritierend.

Action für Buben aller Altersgruppen

Trotz seines sichtlichen Respekts – hier scheitert man bei der Verfilmung eines intelligenten Comics in einer ganz anderen Liga als etwa bei den klamaukigen Asterix-Adaptionen – segelt Spielberg aber an Hergés Vorlage vorbei: Er übersteuert Richtung Action, und das oft virtuos. Als 3-D-Spektakel macht sein Film vieles wieder gut, was im Namen der Profitgier seit Avatar in schnell montierter Fließbandware vergeben wurde: Ausgiebige Actionszenen wie eine wilde Verfolgungsjagd quer durch die (fiktive) marokkanische Hafenstadt Bagghar demonstrieren, dass räumliche Orientierung und rhythmisch packende Orchestrierung auch in der dritten Dimension mitreißen können. So etwas könnte Spielberg schon vorgeschwebt sein, als er die Comics entdeckte: Fan der Vorlage wurde er 1981, nachdem sein erster Indiana Jones-Film in einer Kritik mit Hergés Comicserie verglichen wurde (allerdings nicht wegen der rassistischen Stereotypen, die man beiden vorwarf). Vielleicht sah Spielberg in der (fast frauenlosen) Kreation des belgischen Autors und Zeichners einen idealen Quell von Actionabenteuern, vor allem für Buben aller Altersgruppen.

Hergés Bände bekam Spielberg erst nur auf Französisch, doch die „ligne claire“-Kunst verzauberte ihn sofort: Aber die geht im Spektakel öfter unter, und die dreidimensional animierten Figuren haben weniger Charme und Charakter als in den reduzierten Originalzeichnungen. Trotz Fortschritten der Bewegungserfassung (u.a. von Jamie Bell als Tintin, Andy Serkis als Haddock und Daniel Craig als Bösewicht) haftet insbesondere den weniger überzeichneten Hauptfiguren noch immer der Hauch des „Uncanny Valley“ an: jenes unheimliche Tal, mit dem man in Psychologie und Robotik die fehlende Akzeptanz für künstliche Figuren bezeichnet, die sich der Realität annähern. Bei Kassenerfolg darf Peter Jackson in einer Fortsetzung die nächste Annäherung versuchen: Das Gesetz der Serie wird von ihm und Spielberg jedenfalls respektiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2011)

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