"The Iron Lady": Die alte Frau in ihrem Exil

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Iron Lady alte Frau(c) Filmladen
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Die Filmbiografie von Margaret Thatcher hatte am Freitag in England Europa-Premiere. Der Film nimmt es mit der historischen Wahrheit nicht allzu genau und konzentriert sich auf Thatchers geistigen Verfall.

Britische Premierminister versuchen sich gewöhnlich nicht als Filmkritiker – aber bei „The Iron Lady“, dem Film über seine hochverehrte Vorgängerin Margaret Thatcher, konnte sich David Cameron nicht zurückhalten: „Toll gespielt von Meryl Streep“, so der Regierungschef am Freitag in der BBC. „Aber ich frage mich, warum wir diesen Film ausgerechnet jetzt brauchen. Es ist eher ein Film über das Altern und Elemente von Demenz und nicht über eine fantastische Premierministerin.“

Schon im Vorspann zu der Filmbiografie, die diese Woche in London Europa-Premiere feierte und Anfang März auch hierzulande (Österreich) in die Kinos kommt, werden Thatcher-Fans und -Feinde (in diese Kategorien lässt sich Großbritannien auch über 20Jahre nach Ende ihrer Herrschaft teilen) mit einem schockierenden Bild der Baronin konfrontiert: Eine gebückte alte Frau, in Trenchcoat und flachen Gesundheitsschuhen, das Blümchenkopftuch tief ins Gesicht gezogen, steht in einem Lebensmittelladen hilflos vor dem Milchregal und kann sich nicht entscheiden. Die übrigen Kunden drängeln sich an ihr vorbei und erkennen sie nicht. An der Kasse kann die sichtlich verwirrte Frau den Preis für ihr „Pint“ nicht fassen: „49 Pence??“,fragt sie fassungslos nach. Zu Hause maßregelt sie ihren Mann, der nur in ihrer Fantasie noch lebt, als der sich zu viel Butter auf seinen Toast schmiert: „Too much butter!“

Der Film über eine der wohl einflussreichsten und umstrittensten Politikerinnen der Welt sorgt seit Wochen für Debatten in den britischen Medien: Er verharmlose ihre nachhaltig zerstörerische Wirkung auf die britische Gesellschaft, spekulierten die Altlinken, lange bevor irgendjemand den Streifen gesehen hatte. Die britischen Filmemacherinnen seien als linksliberale Feministinnen doch nur darauf aus, eine verehrte Ikone der Neoliberalen zu verteufeln, mutmaßten die Konservativen.

Der Kunstgriff von Drehbuchautorin Abi Morgan („Shame“, „Sex Traffic“) und der renommierten Opernregisseurin Phyllida Lloyd, Thatchers Leben aus der Perspektive der einsamen, verwirrten Frau von heute zu erzählen, hat die aufgebrachten konservativen Gemüter alles andere als beschwichtigt. Thatcher (86), die nur noch sehr selten öffentlich auftritt, leidet laut den Memoiren ihrer Tochter Carol, auf denen das Drehbuch teilweise basiert, seit vielen Jahren an Demenz und soll hin und wieder vergessen, dass ihr Ehemann Denis (im Film exzellent gespielt von Jim Broadbent) schon 2003 gestorben ist.


Zu unpolitisch und verharmlosend. „Grausam“ sei der Film diesbezüglich, so das Urteil von Thatcher-Biograf Charles Moore, „intrusiv und unfair“ urteilte der Abgeordnete Rob Wilson und forderte gar eine Parlamentsdebatte über „The Iron Lady“ im Bezug auf „Respekt, gute Manieren und guten Geschmack“. Feministinnen und Linksliberale dagegen empfinden die zweite Kollaboration von Lloyd und Streep (nach der Filmkomödie „Mamma Mia!“ 2008) als Hochverrat: Viel zu unpolitisch sei der Film und deshalb verharmlosend. „Er macht aus Maggie fast zwangsläufig eine strahlende Figur – sogar ich ertappte mich selbst dabei, der gescheiten Ladenbesitzerstochter zuzujubeln, die sich gegenüber den versnobten konservativen Männern durchsetzt“, so die „Guardian“-Journalistin Liz Hoggard. „Aber wo ist die rationale Opposition zu ihrer Politik im Film? Gewerkschafter werden als sexistische Strolche präsentiert, Demonstranten gegen die Kopfsteuer als wild gewordener Pöbel, der auf ihr Auto einschlägt (was so nie passierte). Was ich nicht finde, ist die Verzweiflung, die meine Generation in den frühen1980ern empfand.“

Im Schnelldurchlauf erzählt der Film Thatchers Werdegang vom naiven Unterklasse-Mädchen aus der nordenglischen Provinz zur machtbesessenen, isolierten Regierungschefin, die an Realitätsverlust zu leiden scheint und schließlich von ihren männlichen Rivalen aus dem Amt geputscht wird. In kurzen Rückblicken, ohne viel Kontext werden Falkland-Krieg, Bergarbeiterstreik und der Nordirland-Konflikt gestreift. Regisseurin Lloyd räumt ein, dass sie es mit der historischen Wahrheit in ihrem „Biopic“ nicht allzu genau nimmt. So begleitet die Kamera die junge Margaret an ihrem ersten Tag als Abgeordnete ins House of Commons: düstere Flure, abfällige Blicke, plötzlich verstummende Gespräche und ein Meer von grauen Anzügen, in dem Thatcher im unvermeidlichen Stahlblau der einzige weibliche Farbklecks ist. Tatsächlich war Thatcher 1959 weder die erste noch die einzige weibliche Abgeordnete. „Wir zeigen nicht, wie es war – sondern wie es sich angefühlt haben muss, in diese Hallen hereinzukommen“, so Lloyd zur BBC.

Hauptdarstellerin Streep ging es darum, „bei dieser Frau, die eine Ikone für die Rechten und der Leibhaftige für die Linken war, den Menschen zu entdecken und sie in der sehr stillen Welt von heute, im Alter, zu finden“. Und das ist ihr gelungen: So gemischt die britische Resonanz auf den Film insgesamt, so einig sind sich die allermeisten Kritiker in ihrem überschwänglichen Lob für Streeps Darstellung (für den Globe ist sie schon nominiert). „Oscarwürdig“, so das übereinstimmende Urteil, auch wenn manchem Thatcher-Kenner Streeps Augen nicht blau genug sind, der Gang zu raumgreifend und ihre Ausstrahlung angeblich lange nicht so erotisch (!) sei wie die des Originals.


Die Perlen sind nicht verhandelbar. Doch schließt man die Augen, glaubt man tatsächlich die künstlich tiefe, blasierte Stimme der echten „Eisernen Lady“ und ihren aufgesetzten Upperclass-Akzent zu hören. In einer der amüsantesten Szenen des Films erklären zwei Berater der Kandidatin für den Parteivorsitz 1975, dass sie künftig auf Hüte und Perlen verzichten solle und etwas an ihrer leicht kreischenden Stimme ändern müsse. Thatcher erklärt den Herren darauf kokett: „Gentlemen, ich bin in Ihren Händen.“ Dann senkt sie die Stimme um eine halbe Oktave und erklärt bestimmt: „Aber die Perlen sind nicht verhandelbar.“

Thatcher und ihre Familie wurden laut Lloyd als Erste eingeladen, den fertigen Film anzuschauen. Doch sie schlugen das Angebot aus. Thatcher-Kenner Moore wundert das nicht: „Mrs Thatcher ist keine, die sich fragt, was andere Leute von ihr halten. Sie hätte den Film nie angesehen, egal, ob er ihr schmeichelt oder schadet, und wenn doch, hätte er ihr nicht gefallen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2012)

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